Friday, 18 October 2019

Was ist eine Stimmperformance?


Was ist eine Stimmperformance?

Seit Alfred Wolfsohn nach dem Zweiten Weltkrieg seine Tätigkeit als Stimmlehrer, dieses Mal in London, wieder aufnahm und sich in seinem Schülerkreis schnell einige Stimmen entwickelten, die einen außergewöhnlichen Stimmumfang besaßen, stellt sich die Frage, wie und in welchem Zusammenhang diese Extended Voice künstlerisch eingesetzt werden kann. Wolfsohn hoffte auf Komponisten, die für die weiten Stimmen, die alle klassischen Stimmlagen umfassten, Partien schreiben würden[1]. Roy Hart arbeitete mit einigen zeitgenössischen Komponisten[2] zusammen und lud Autoren ein, für ihn und das Roy Hart Theatre Stücke zu schreiben[3]. Das Theater bot sich in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts als Plattform für radikale künstlerische Experimente besonders an.
Die Frage, welche künstlerischen Möglichkeiten die befreite Stimme bietet, ist bis heute aktuell und muss immer wieder neu gestellt werden. Mich hat die Beschäftigung damit, neben meiner Arbeit im Bereich von Musik und Theater, in die Richtung der Performance Art geführt. Das liegt als Konsequenz nicht unbedingt auf der Hand und ich möchte hier ein paar Erfahrungen und Überlegungen präsentieren, die mir auf dem Weg begegnet sind.
Ein wichtiger Grund, aus dem ich mich der Performance Art zugewendet habe, liegt darin, dass ich für mich erkannt hatte, wie sehr und ausschließlich die Stimme in theatralen Zusammenhängen, in Rezitationen und in der Musik - wie unkonventionell die Formen auch sein mögen – eine dienende Funktion inne hat. Die Stimme dient dem Vorhaben, einen Text, ein Stück, eine Figur, eine Melodie oder eine improvisatorische Phrase, eine Komposition oder was auch immer vorzustellen[4]. Mich interessierte dagegen die Idee, der Stimme in einem künstlerischen Rahmen die Hauptrolle zu geben. Anders gesagt will ich herausfinden, welche Bedeutung und Wirkung der Stimmklang selbst, unabhängig von Text und Musik entwickeln kann.
Was also bleibt von der Stimme, wenn sie von all ihren dienenden Funktionen befreit ist? Was ist die Stimme für sich genommen?
Performance Art bietet mir einen Rahmen, in dem ich diese Frage verfolgen kann und den ich so nirgendwo sonst finde.

Performance Art heute
Über die Beschäftigung mit Performance Art hat sich in meiner künstlerischen Arbeit die Tendenz herausgebildet, nach der möglichen Rolle der menschlichen Stimme in der Bildenden Kunst im allgemeinen zu suchen. Hat die menschliche Stimme, die sich nicht mehr im Rahmen vorgegebener ästhetischer Parameter bewegt, sondern alle ihre klanglichen Möglichkeiten auf künstlerische Verwendung hin überprüft, im Raum der Bildenden Kunst einen Platz? Was könnte das sein, eine stimmliche Skulptur oder Installation? Oder eben: Was ist eine Stimmperformance? In dieser letzten Frage gehe ich von einem Verständnis der Performance Art aus, das diese Kunstform nicht den Darstellenden Künsten zuordnet, sondern die Wurzeln der Performance Art in der Malerei und der Bildhauerei sieht. Heute ist der Performancebegriff sehr viel weiter geworden als er ursprünglich angelegt war[5] und vielleicht ist es längst an der Zeit, für die eigene Arbeit einen passenderen und vor allen weniger erschöpften Begriff zu finden[6]. Doch bis auf weiteres halte ich an dem Begriff fest und will versuchen, meine Arbeit als Stimmkünstler im Rahmen der Performance Art zu positionieren.
Kaum ein Begriff hat in der alle Disziplinen der Kunst umfassenden Szene der letzten zwanzig Jahre eine solche Verbreitung erfahren wie die Performance. Merkwürdigerweise ist parallel dazu in der Wirtschaftswelt etwas sehr Ähnliches passiert[7]. Das kann kein reiner Zufall sein. Der Kulturtheoretiker Christoph Bartmann stellt die dazu passende Behauptung auf, dass die Performance die Kunstform des fortgeschrittenen Kapitalismus ist. Der Manager und der Performancekünstler (beiderlei Geschlechts) seien die brüderlich/schwesterlich verbundenen Prototypen für das „unternehmerische Selbst“. Für beide spielt die Arbeit mit Prozessen eine große Rolle. Für beide ist das, was man früher Selbstverwirklichung nannte, eine wichtige Komponente. Werde, der du bist! sagte Nietzsche und das ist heute eine der großen Aufforderungen an alle, die in diesem System halbwegs erfolgreich agieren wollen. Der Performancekünstler zeigt nach Bartmann, was das bedeuten könnte. „In der Performance erst erbringen wir den Nachweis, dass wir überhaupt ein Selbst haben und uns verlässlich von anderen unterscheiden. Dass wir wir selbst sind, wenn wir arbeiten, und nicht etwa nur Weisungsempfänger. (...) Die künstlerischen Performances, so radikal unkonventionell sie sich auch gebärden, tragen zur Modellierung unserer neuen, unternehmerischen Subjektivität erheblich bei.“[8]
Der Vorwurf, dass die Performance Art Modellcharakter für die Akteure im neoliberalen Kapitalismus besitzt, kann von der Kunst nicht einfach ignoriert werden. Andererseits darf sie sich dadurch nicht ins Bockshorn jagen lassen. Denn es bleibt (mindestens) ein entscheidender Unterschied: Während der Neoliberalismus glaubt, im unternehmerischen Selbst ein Menschenbild gefunden zu haben, das den Zwecken und Bedürfnissen des spätkapitalistischen Systems am effektivsten dient, ist die Performance Art eine Kunstform, die mit ihren Mitteln radikal die Frage stellt, was es heute überhaupt bedeuten kann, Mensch zu sein. Das ist übrigens eine Aufgabe, die sich die Stimmkunst in der Tradition von Alfred Wolfsohn und Roy Hart ebenfalls seit ihren Anfängen stellt.

Stimme in der Kunst
Die Extended Voice ist in allen darstellenden Kunstzweigen einsetzbar und dementsprechend auch zu finden. Es gibt Stimmkünstler, die den Rahmen dessen, was gemeinhin unter Gesang verstanden wird, in den verschiedenen Disziplinen erweitern: im Jazz und der Improvisierten Musik, in der Neuen Musik, in die sie nicht zuletzt durch Roy Hart Einzug gefunden hat, aber auch im modernen und besonders im so genannten postdramatischen Theater – wo das Roy Hart Theatre ebenfalls Pionierarbeit geleistet hat. Außerdem findet man die Extended Voice in Literatur und Poesie, in der Verbindung mit Tanz und in der Performance Art.
Was aber ist der Unterschied zwischen dem Einsatz der Extended Voice in den klassischen Stimmkunstbereichen und in der Performance, wenn man von der Frage nach der dienenden Funktion der Stimme absieht?

Bevor ich mich daran machen kann, diesen Unterschied genauer zu bestimmen, muss ich darüber sprechen, was für mich eine Performance im allgemeinen ist. Das ist wie gesagt ein überstrapazierter Terminus; trotzdem ist es möglich, ein paar Bedingungen anzugeben, die zumindest mein Verständnis von Performance Art genauer erfassen. Mein Vorschlag lautet:
Performance ist ein künstlerischer Prozess mit mehr oder weniger offenem Ausgang,
-       in dem der Performer oder die Performerin als körperlich (stimmlich) existierender Mensch Teil des Prozesses ist,
-       der eine wie auch immer geartete Beziehung zur Öffentlichkeit hat, also mehr oder weniger direkt von Menschen verfolgt werden kann (ich vermeide den Begriff Publikum![9]),
-       der in einem durch selbstgesetzte Regeln und vorgefundene oder installierte Bedingungen wohldefinierten Rahmen abläuft, innerhalb dessen Unvorhersehbares passieren darf und soll,
-       in den externe Faktoren eingreifen können, wie die Realzeit oder ortsabhängige Besonderheiten,
-       in den Zufälle eingreifen können,
-       in dem während des Prozesses Entscheidungen gefällt werden können, die den Verlauf in vorher unbestimmbarer Weise beeinflussen.

Performance als Experiment
Die Performance Art hat Experimentcharakter. Die Situation, die in einer Performance kreiert wird, ist ein Versuchsaufbau, aber einer, der ein paar entscheidende Differenzen zu einem wissenschaftlichen Experiment aufweist. Der Wissenschaftler oder die Wissenschaftlerin werden alles daran setzen, selbst keinen direkten Einfluss auf den Ablauf des Versuches zu haben. Im wissenschaftlichen Experiment baut der Forscher zwar den Versuch auf, aber bleibt danach ganz in der Beobachterposition, um, wie es dann heißt, das Ergebnis nicht zu verfälschen. Das ist in der Performance Art ganz anders. Performancekünstler*innen machen sich selbst zum Teil des Experimentes. Sie begeben sich in den Versuchsaufbau hinein und lassen die Ereignisse des Prozesses, der durch die Situation ausgelöst wird, auf sich wirken. In der Performance bin ich zugleich Forscher und Forschungsobjekt.
Ein künstlerisches Experiment unterscheidet sich außerdem von einem wissenschaftlichen darin, dass die Durchführung des Experiments in der Performance bereits das Ergebnis darstellt. In der Wissenschaft besteht das Resultat aus den Daten, die der Versuch geliefert hat und aus den Schlussfolgerungen, die daraus zu ziehen sind. Darum geht es in der Kunst nicht. Die Aktion ist schon das Ergebnis. Künstlerische Forschung in der Performance Art sammelt keine Daten; sie erforscht die Welt nicht als Gegenstand, sondern als die Welt, in die ich als Mensch hineingeboren bin und zu der ich in jeder Hinsicht gehöre. Beide, Wissenschaftlerinnen und Künstler sind Forscher. Sie wollen beide etwas verstehen über die Welt, doch das gesuchte Verständnis, die Art und Weise, wie sie verstehen wollen, ist gänzlich verschieden[10].

Stimmperformance?
Welche besonderen Bedingungen kommen zu der hier skizzierten Idee der Performance Art hinzu, wenn es sich um eine Stimmperformance handelt?
Natürlich kann die Stimme prinzipiell in jeder Performance präsent sein, ohne dass es sich deshalb schon um eine Stimmperformance handeln würde. Ich unterscheide deshalb zwischen Performances, in denen die Stimme als ein Aspekt neben anderen gleichwertigen Materialien, Themen oder Ideen auftaucht und andererseits der eigentlichen Stimmperformance, die von der Stimme und ihren Möglichkeiten aus entworfen wird und bei der die Stimme im Zentrum steht. Alle anderen Aspekte der Performance wie der Raum, die zeitliche Struktur, die Regeln und Bedingungen der Situation ordnen sich der Stimme unter bzw. ordnen sich um die Stimme als zentralem Moment herum.

In der Stimmperformance ist der Performer/die Performerin nicht nur und nicht in erster Linie mit dem Körper präsent, sondern eben mit der Stimme. Dadurch verändert sich das gesamte Konzept von Raum, in dem die Performance stattfindet. Mit den Augen – mit denen man den Körper des/der Performer in der Regel wahrnimmt - kann ich mich auf einen Bereich des Raumes fokussieren und die anderen möglicherweise gleichzeitig ablaufenden Aktionen ausblenden. Mit Stimmen und Klängen geht das nicht so einfach. Jeder Stimmklang ist im Raum gleichwertig präsent, nur unterschieden durch seine klanglichen Qualitäten. Ich höre im Prinzip immer alles zugleich, was sich in einem Raum klanglich ereignet. Besonders für Gruppenperformances ergibt sich daraus die Notwendigkeit, bei Stimmaktionen zu beachten, dass die Gleichzeitigkeit der Ereignisse sich in der hörenden Wahrnehmung des Publikums und der Performer widerspiegelt. Bei körperorientierten Performances kann ich mich als Künstler relativ unabhängig von anderen Performern, die im selben Raum agieren, bewegen. Meine Stimme dagegen wird immer sofort von mir selbst und von allen anderen im Raum in der Verbindung mit den zugleich stattfindenden Klangereignissen erfahren.

In der Performance, so wie ich sie verstehe, kommt der Extended Voice eine andere Funktion oder Charakteristik zu als in den anderen Kunstformen. In der Musik oder auch im Theater ist die Stimme im weiten Sinne ein Werkzeug, das ich als Stimmkünstler möglichst souverän bedienen/bespielen kann. In einer Performance ist das für mich anders. Hier steht mir nicht einfach so meine (ganze) Stimme zur Verfügung, sondern ich stelle meiner Stimme einen Rahmen oder ein Feld bereit, auf dem sie so frei wie möglich agieren kann. Frei heißt hier auch, frei von meinen Vorstellungen, Einfällen, Ideen. Das „unternehmerische Selbst“ muss sich hier zurückhalten zugunsten der Offenheit der Stimme, die so auf auch für mich unvorhergesehene Weise agieren kann. Das sind zwar alles Aspekte, die bei der Stimme ebenfalls in anderen künstlerischen Zusammenhängen auftauchen können, aber hier stehen sie im Zentrum. Durch den auditiven Zugang zur performativ gestalteten Welt, die sich mir zeigt, wird meine Weltwahrnehmung im Ganzen ein andere. Bei Nietzsche findet sich der Satz: „Das Ohr hört den Klang! Eine ganz andere wunderbare Conception derselben Welt“[11]. Im Auge konstituiert sich das die Welt beherrschende Subjekt. Im Hören bin ich in den Klangraum integriert. Die gesehenen Dinge sind in meiner Reichweite. Hörend bin ich in der Reichweite des Klangs und damit der Welt. Sehend konstruiere ich mir meine Welt, hörend bin ich (in) ihr ausgesetzt und werde Teil von ihr.

Stimmperformance und Improvisation
Wie verhält sich die Idee der Stimmperformance zur Improvisation als künstlerischer Form? In unserer Arbeit mit stimmlichen Gruppenperformances (mit dem Ensemble KörperSchafftKlang) versuchen wir, beide Formen getrennt voneinander zu betrachten und zu nutzen, obwohl es natürlich Überlappungen gibt. Doch die Improvisation ist in erster Linie eine musikalische Form, und die Art des Zusammentönens beim Improvisieren folgt musikalischen Prinzipien des Hörens und des aufeinander Reagierens. In der Stimmperformance, so wie ich sie verstehe, passiert etwas anderes. Wir versuchen auf der einen Seite mit den Ohren so offen wie möglich zu sein für die stimmlichen Ereignisse, die im Raum auftreten. Aber die Stimmen bleiben weitgehend aktiv im Rahmen der Vorgaben, für die ich mich mit meiner Stimme entschieden habe. Dadurch passieren unvorhergesehene und unvorhergehörte klangliche Begegnungen, deren musikalischer Charakter frühestens beim Hören entsteht und nicht schon durch die Art, wie ich (eben improvisierend) auf einen anderen Klang reagiere. Damit ist nicht verhindert, dass es zum Zusammenklingen von Stimmen kommt und die Performer diese Momente miteinander auskosten. Das freie Spiel der Stimmen miteinander hat auch hier seinen Raum. Aber interessanter ist hier, über die oft sehr strengen Vorgaben, die den Stimmen in der Performance gemacht werden, zu klanglichen Ereignissen zu kommen, die bei einem musikalischen oder improvisatorischen Herangehen sehr unwahrscheinlich wären[12].

Aspekte meiner Stimmperformances
In meinen solistischen Stimmperformances haben sich im Laufe der Zeit ein paar Vorlieben und Muster entwickelt. Ich arbeite relativ selten mit Klangverstärkung und Mikrofon, denn dadurch ändert sich der Raum und das Raumgefühl sehr stark. Mikrofon und Lautsprecher kreieren einen eigenen Klangraum, der zu dem ursprünglichen Raum, in dem die Menschen gemeinsam präsent sind, hinzu gefügt wird. Das ist oft verwirrend und beeinträchtigt die Wirkung des ursprünglichen Raumes, den man sich in einer Performance nicht ohne Grund auswählt. Einer Stimme zuhören bedeutet im performativen Zusammenhang, mit dem Menschen, der seine Stimme zeigt, einen gemeinsamen Raum zu teilen. Elektronische Verstärkung der Stimmen stellt eine künstliche Veränderung dieses Raumes dar. Das kann natürlich sehr reizvoll sein, aber in meiner Arbeit hat sich herausgestellt, dass es oft besser ist, den Raum selbst resonnieren zu lassen. Nur dann kann eine Stimmperformance mit Ort und Räumlichkeiten spielen.
In meinen Stimmperformances ist das Publikum in der Regel eingeladen zu kommen und den Ort wieder zu verlassen, wann immer es will. Die Beziehung zu den Zuhörern bzw. Zuschauern ist einer der zentralen und oft schwierigen Aspekte in der Installation einer performativen Situation. Bei mir ist es wichtig, die Zuhörer einzuladen, auf das zu hören, was im Raum mit meiner Stimme an klanglichem Ereignis auftaucht, ohne zu sehr an Musik zu denken. Das heißt auch, die Idee eines Konzertes so weit wie möglich in den Hintergrund zu drängen. Stattdessen habe ich die Vorstellung einer stimmlichen Skulptur im Sinn, die man sich für eine Weile anhört und dann entscheiden kann, wie lange man sich damit beschäftigt. Vielleicht geht man nur mal kurz daran vorbei, oder man wird neugierig, setzt sich hin und versucht den Kontakt mit der Stimmskulptur aufzubauen. Durch die Entscheidungsfreiheit, die ich dem Publikum gebe, wird es in einer sehr starken Weise Teil der Situation und der Atmosphäre. Das wiederum hat auch eine Wirkung auf meine Stimme und ihre klanglichen Bewegungen.
Ich versuche in einer Stimmperformance in tiefem Kontakt mit den verschiedenen Dimensionen meines Daseins zu sein: mit meinem Körper, der inneren Situation, meinen Reaktionen auf die äußere Situation und den Veränderungen, die darin geschehen. Zugleich lasse ich meine Stimme so frei wie möglich von mir selbst agieren. Zwar versuche ich den Regeln zu folgen, die ich meiner Stimme im Vorhinein gebe, aber ich möchte während des performativen Prozesses meine Gefühle, Gedanken oder Schmerzen nicht direkt stimmlich ausdrücken. Vielmehr versuche ich meiner Stimme den Raum zu geben, sich frei zu bewegen, während ich mit allem, was sich innerlich und äußerlich ereignet, in einen engen Kontakt gehe. Starke Verbindung und große Freiheit.
Was ist also eine Stimmperformance? Darauf kann jeder Künstler und jede Künstlerin nur selbst eine Antwort finden. Aber mit dem Versuch, die Idee der Stimmperformance für mich einzukreisen, soll deutlich werden, dass es sich bei der Stimmperformance um eine künstlerische Form handelt, die sich von anderen Formen der darstellenden Kunst unterscheidet und womöglich ganz neue Ansätze bietet, mit der Stimme im künstlerischen Raum zu agieren.




[1] Das ist in den fünfziger Jahren über einige Versuche nicht hinausgekommen. Hervorzuheben ist dabei eine Komposition des deutschen Komponisten Dieter Schnebel, der in der Partitur seines Werkes "Für Stimmen (...missa est) dt. 31,6" von Wolfsohn´schen Stimmen spricht und sich dabei auf die Stimmen bezieht, die er in einer Radiosendung über Wolfsohn hörte. Leider hat er aber nie versucht, mit Wolfsohn Kontakt aufzunehmen, wie er mir in einem Telefongespräch erzählte.
[2] U.a. mit Karlheinz Stockhausen und Peter Maxwell Davies.
[3] Einer der Autoren war Paul Pörtner, der Roy Hart auch in radiophonen Hörspielen eingesetzt hat.
[4] Das scheint so eine Art Schicksal der Stimme zu sein, die bereits von Platon auf die dienende Funktion reduziert wurde. Vgl. Dazu von mir: Wege zur Stimme, S.23ff.
[5] Vgl. dazu die selbst schon wieder künstlerische Grafik, die Boris Nieslony und Gerhard Dirmoser zum Thema Performance Art entwickelt haben: http://gerhard_dirmoser.public1.linz.at/A0/Perform_Basis06_A0.pdf (Deutsch).
[6] Der amerikanische Künstler Terry Fox gehörte zu den Pionieren der Performance Art in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Er und seine Arbeit hatten einen großen Einfluss auf mich. In einem Gespräch mit ihm sagte mir Terry Fox, dass er, so wie viele andere Pioniere der Performance Art spätestens Ende der 70er Jahre mit Performances aufhörte. Sie alle hätten das Gefühl gehabt, dass die Zeit für diese Art von Kunst vorbei sei, dass die gesellschaftlichen Grundbedingungen es nicht mehr zuließen, auf diese Art subversive Kunst zu machen. Die Performance war dabei, an ihrem Erfolg, der ja seitdem stetig zunimmt, zu scheitern. Er hat auf den Begriff Performance verzichtet und seine Aktionen, die im übrigen dann oft klanglichen Charakter hatten, als Situationen bezeichnet. Den Begriff leihe ich mir von Zeit zu Zeit bei ihm aus!
[7] Entstanden ist der Begriff mehr oder weniger zeitgleich in den fünfziger Jahren in den USA in drei Bereichen, als Peter Drucker begann, seine Managementkonzepte zu schreiben, Paul Austin mit der Idee des Sprechaktes die performative Wende in der Philosophie einleitete und eben Künstler begannen, den Prozess des Kunstschaffens gleichberechtigt neben das so genannte Ergebnis zu stellen.
[8] Christoph Bartmann, Leben im Büro, München 2012, S. 2016. Auf das Thema gehe ich ausführlicher ein in meinem Essay: Künstler sein im Kapitalismus, S.44ff.
[9] Außerdem will ich damit nicht ausschließen, dass es Performances gibt, bei deren Durchführung niemand außer den Performern anwesend ist und die auch nicht dokumentiert werden, um sie später etwas als Video zu zeigen.
[10] Hier zeigt sich ein weiterer grundlegender Unterschied zwischen dem Manager, der sich als Performer versteht und einem Performance Artist. Die Aktivitäten des Managers zielen auf eine gute Performance ab, die sich – ähnlich und doch anders als in der Wissenschaft – in Zahlen widerspiegeln wird. Es geht um einen Erfolg im unternehmerischen Handeln, das immer über die konkrete Aktivität hinausweist, und zwar auf die wirtschaftlichen Konsequenzen der Aktionen. Die Performancekünstlerin würde diese Mittel-Zweck-Logik für ihre Kunstaktionen weit von sich weisen. Die Performance ist das Ergebnis. Sowohl im Sinn des Gelingens der geplanten Aktion als auch in Bezug auf die Reaktion des Publikums sind Erfolg oder Misserfolg Nebenaspekte, wenn auch möglicherweise herbeigesehnte.

[11] F. Nietzsche: Nachgelassene Fragmente 1869-74, Bd. 7, hg. V. Colli-Montinari, S. 440
[12] Gemeinsam mit meiner Partnerin Agnes Pollner habe ich mit diesen Ideen auf der CD Wellen Laenge experimentiert. Da gibt es einerseits sehr strenge Regeln des Atmens und der Art, wie wir einen Stimmklang beginnen oder enden lassen; zugleich haben wir sehr konzentriert auf unsere beiden Stimmen gehört, dann aber den Stimmen die Freiheit gegeben, in diesem Rahmen sozusagen unabhängig von unseren musikalischen Vorstellungen zu agieren und zu reagieren. Ein Klangbeispiel findet sich hier: https://soundcloud.com/hoerfeld/expansion-1.

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