Was ist eine Stimmperformance?
Seit
Alfred Wolfsohn nach dem Zweiten Weltkrieg seine Tätigkeit als Stimmlehrer,
dieses Mal in London, wieder aufnahm und sich in seinem Schülerkreis schnell
einige Stimmen entwickelten, die einen außergewöhnlichen Stimmumfang besaßen,
stellt sich die Frage, wie und in welchem Zusammenhang diese Extended Voice künstlerisch eingesetzt
werden kann. Wolfsohn hoffte auf Komponisten, die für die weiten Stimmen, die
alle klassischen Stimmlagen umfassten, Partien schreiben würden[1].
Roy Hart arbeitete mit einigen zeitgenössischen Komponisten[2]
zusammen und lud Autoren ein, für ihn und das Roy Hart Theatre Stücke zu
schreiben[3].
Das Theater bot sich in den sechziger und siebziger Jahren des letzten
Jahrhunderts als Plattform für radikale künstlerische Experimente besonders an.
Die
Frage, welche künstlerischen Möglichkeiten die befreite Stimme bietet, ist bis
heute aktuell und muss immer wieder neu gestellt werden. Mich hat die
Beschäftigung damit, neben meiner Arbeit im Bereich von Musik und Theater, in
die Richtung der Performance Art geführt. Das liegt als Konsequenz nicht
unbedingt auf der Hand und ich möchte hier ein paar Erfahrungen und
Überlegungen präsentieren, die mir auf dem Weg begegnet sind.
Ein
wichtiger Grund, aus dem ich mich der Performance Art zugewendet habe, liegt
darin, dass ich für mich erkannt hatte, wie sehr und ausschließlich die Stimme
in theatralen Zusammenhängen, in Rezitationen und in der Musik - wie
unkonventionell die Formen auch sein mögen – eine dienende Funktion inne hat.
Die Stimme dient dem Vorhaben, einen Text, ein Stück, eine Figur, eine Melodie
oder eine improvisatorische Phrase, eine Komposition oder was auch immer vorzustellen[4].
Mich interessierte dagegen die Idee, der Stimme in einem künstlerischen Rahmen
die Hauptrolle zu geben. Anders gesagt will ich herausfinden, welche Bedeutung
und Wirkung der Stimmklang selbst, unabhängig von Text und Musik entwickeln
kann.
Was
also bleibt von der Stimme, wenn sie von all ihren dienenden Funktionen befreit
ist? Was ist die Stimme für sich genommen?
Performance
Art bietet mir einen Rahmen, in dem ich diese Frage verfolgen kann und den ich
so nirgendwo sonst finde.
Performance Art heute
Über
die Beschäftigung mit Performance Art hat sich in meiner künstlerischen Arbeit
die Tendenz herausgebildet, nach der möglichen Rolle der menschlichen Stimme in
der Bildenden Kunst im allgemeinen zu suchen. Hat die menschliche Stimme, die
sich nicht mehr im Rahmen vorgegebener ästhetischer Parameter bewegt, sondern
alle ihre klanglichen Möglichkeiten auf künstlerische Verwendung hin überprüft,
im Raum der Bildenden Kunst einen Platz? Was könnte das sein, eine stimmliche
Skulptur oder Installation? Oder eben: Was ist eine Stimmperformance? In dieser
letzten Frage gehe ich von einem Verständnis der Performance Art aus, das diese
Kunstform nicht den Darstellenden Künsten zuordnet, sondern die Wurzeln der
Performance Art in der Malerei und der Bildhauerei sieht. Heute ist der
Performancebegriff sehr viel weiter geworden als er ursprünglich angelegt war[5]
und vielleicht ist es längst an der Zeit, für die eigene Arbeit einen
passenderen und vor allen weniger erschöpften Begriff zu finden[6].
Doch bis auf weiteres halte ich an dem Begriff fest und will versuchen, meine
Arbeit als Stimmkünstler im Rahmen der Performance Art zu positionieren.
Kaum
ein Begriff hat in der alle Disziplinen der Kunst umfassenden Szene der letzten
zwanzig Jahre eine solche Verbreitung erfahren wie die Performance.
Merkwürdigerweise ist parallel dazu in der Wirtschaftswelt etwas sehr Ähnliches
passiert[7].
Das kann kein reiner Zufall sein. Der Kulturtheoretiker Christoph Bartmann
stellt die dazu passende Behauptung auf, dass die Performance die Kunstform des
fortgeschrittenen Kapitalismus ist. Der Manager und der Performancekünstler
(beiderlei Geschlechts) seien die brüderlich/schwesterlich verbundenen
Prototypen für das „unternehmerische Selbst“. Für beide spielt die Arbeit mit
Prozessen eine große Rolle. Für beide ist das, was man früher
Selbstverwirklichung nannte, eine wichtige Komponente. Werde, der du bist!
sagte Nietzsche und das ist heute eine der großen Aufforderungen an alle, die
in diesem System halbwegs erfolgreich agieren wollen. Der Performancekünstler
zeigt nach Bartmann, was das bedeuten könnte. „In der Performance erst
erbringen wir den Nachweis, dass wir überhaupt ein Selbst haben und uns
verlässlich von anderen unterscheiden. Dass wir wir selbst sind, wenn wir
arbeiten, und nicht etwa nur Weisungsempfänger. (...) Die künstlerischen
Performances, so radikal unkonventionell sie sich auch gebärden, tragen zur
Modellierung unserer neuen, unternehmerischen Subjektivität erheblich bei.“[8]
Der
Vorwurf, dass die Performance Art Modellcharakter für die Akteure im
neoliberalen Kapitalismus besitzt, kann von der Kunst nicht einfach ignoriert
werden. Andererseits darf sie sich dadurch nicht ins Bockshorn jagen lassen.
Denn es bleibt (mindestens) ein entscheidender Unterschied: Während der
Neoliberalismus glaubt, im unternehmerischen Selbst ein Menschenbild gefunden
zu haben, das den Zwecken und Bedürfnissen des spätkapitalistischen Systems am
effektivsten dient, ist die Performance Art eine Kunstform, die mit ihren
Mitteln radikal die Frage stellt, was es heute überhaupt bedeuten kann, Mensch
zu sein. Das ist übrigens eine Aufgabe, die sich die Stimmkunst in der
Tradition von Alfred Wolfsohn und Roy Hart ebenfalls seit ihren Anfängen stellt.
Stimme in der Kunst
Die
Extended Voice ist in allen darstellenden Kunstzweigen einsetzbar und
dementsprechend auch zu finden. Es gibt Stimmkünstler, die den Rahmen dessen,
was gemeinhin unter Gesang verstanden wird, in den verschiedenen Disziplinen erweitern:
im Jazz und der Improvisierten Musik, in der Neuen Musik, in die sie nicht
zuletzt durch Roy Hart Einzug gefunden hat, aber auch im modernen und besonders
im so genannten postdramatischen Theater – wo das Roy Hart Theatre ebenfalls
Pionierarbeit geleistet hat. Außerdem findet man die Extended Voice in
Literatur und Poesie, in der Verbindung mit Tanz und in der Performance Art.
Was
aber ist der Unterschied zwischen dem Einsatz der Extended Voice in den
klassischen Stimmkunstbereichen und in der Performance, wenn man von der Frage
nach der dienenden Funktion der Stimme absieht?
Bevor
ich mich daran machen kann, diesen Unterschied genauer zu bestimmen, muss ich
darüber sprechen, was für mich eine Performance im allgemeinen ist. Das ist wie
gesagt ein überstrapazierter Terminus; trotzdem ist es möglich, ein paar
Bedingungen anzugeben, die zumindest mein Verständnis von Performance Art
genauer erfassen. Mein Vorschlag lautet:
Performance
ist ein künstlerischer Prozess mit mehr oder weniger offenem Ausgang,
-
in
dem der Performer oder die Performerin als körperlich (stimmlich) existierender
Mensch Teil des Prozesses ist,
-
der
eine wie auch immer geartete Beziehung zur Öffentlichkeit hat, also mehr oder
weniger direkt von Menschen verfolgt werden kann (ich vermeide den Begriff
Publikum![9]),
-
der
in einem durch selbstgesetzte Regeln und vorgefundene oder installierte
Bedingungen wohldefinierten Rahmen abläuft, innerhalb dessen Unvorhersehbares
passieren darf und soll,
-
in
den externe Faktoren eingreifen können, wie die Realzeit oder ortsabhängige
Besonderheiten,
-
in
den Zufälle eingreifen können,
-
in
dem während des Prozesses Entscheidungen gefällt werden können, die den Verlauf
in vorher unbestimmbarer Weise beeinflussen.
Performance als Experiment
Die
Performance Art hat Experimentcharakter. Die Situation, die in einer
Performance kreiert wird, ist ein Versuchsaufbau, aber einer, der ein paar
entscheidende Differenzen zu einem wissenschaftlichen Experiment aufweist. Der
Wissenschaftler oder die Wissenschaftlerin werden alles daran setzen, selbst
keinen direkten Einfluss auf den Ablauf des Versuches zu haben. Im
wissenschaftlichen Experiment baut der Forscher zwar den Versuch auf, aber
bleibt danach ganz in der Beobachterposition, um, wie es dann heißt, das Ergebnis
nicht zu verfälschen. Das ist in der Performance Art ganz anders.
Performancekünstler*innen machen sich selbst zum Teil des Experimentes. Sie
begeben sich in den Versuchsaufbau hinein und lassen die Ereignisse des
Prozesses, der durch die Situation ausgelöst wird, auf sich wirken. In der
Performance bin ich zugleich Forscher und Forschungsobjekt.
Ein
künstlerisches Experiment unterscheidet sich außerdem von einem
wissenschaftlichen darin, dass die Durchführung des Experiments in der
Performance bereits das Ergebnis
darstellt. In der Wissenschaft besteht das Resultat aus den Daten, die der
Versuch geliefert hat und aus den Schlussfolgerungen, die daraus zu ziehen
sind. Darum geht es in der Kunst nicht. Die Aktion ist schon das Ergebnis.
Künstlerische Forschung in der Performance Art sammelt keine Daten; sie
erforscht die Welt nicht als Gegenstand,
sondern als die Welt, in die ich als Mensch hineingeboren bin und zu der ich in
jeder Hinsicht gehöre. Beide, Wissenschaftlerinnen und Künstler sind Forscher.
Sie wollen beide etwas verstehen über die Welt, doch das gesuchte Verständnis,
die Art und Weise, wie sie verstehen
wollen, ist gänzlich verschieden[10].
Stimmperformance?
Welche
besonderen Bedingungen kommen zu der hier skizzierten Idee der Performance Art
hinzu, wenn es sich um eine Stimmperformance handelt?
Natürlich
kann die Stimme prinzipiell in jeder Performance präsent sein, ohne dass es
sich deshalb schon um eine Stimmperformance handeln würde. Ich unterscheide
deshalb zwischen Performances, in denen die Stimme als ein Aspekt neben anderen
gleichwertigen Materialien, Themen
oder Ideen auftaucht und andererseits der eigentlichen Stimmperformance, die
von der Stimme und ihren Möglichkeiten aus entworfen wird und bei der die
Stimme im Zentrum steht. Alle anderen Aspekte der Performance wie der Raum, die
zeitliche Struktur, die Regeln und Bedingungen der Situation ordnen sich der
Stimme unter bzw. ordnen sich um die Stimme als zentralem Moment herum.
In
der Stimmperformance ist der Performer/die Performerin nicht nur und nicht in
erster Linie mit dem Körper präsent, sondern eben mit der Stimme. Dadurch
verändert sich das gesamte Konzept von Raum, in dem die Performance
stattfindet. Mit den Augen – mit denen man den Körper des/der Performer in der
Regel wahrnimmt - kann ich mich auf einen Bereich des Raumes fokussieren und
die anderen möglicherweise gleichzeitig ablaufenden Aktionen ausblenden. Mit
Stimmen und Klängen geht das nicht so einfach. Jeder Stimmklang ist im Raum
gleichwertig präsent, nur unterschieden durch seine klanglichen Qualitäten. Ich
höre im Prinzip immer alles zugleich, was sich in einem Raum klanglich
ereignet. Besonders für Gruppenperformances ergibt sich daraus die
Notwendigkeit, bei Stimmaktionen zu beachten, dass die Gleichzeitigkeit der
Ereignisse sich in der hörenden Wahrnehmung des Publikums und der Performer
widerspiegelt. Bei körperorientierten Performances kann ich mich als Künstler
relativ unabhängig von anderen Performern, die im selben Raum agieren, bewegen.
Meine Stimme dagegen wird immer sofort von mir selbst und von allen anderen im
Raum in der Verbindung mit den zugleich stattfindenden Klangereignissen
erfahren.
In
der Performance, so wie ich sie verstehe, kommt der Extended Voice eine andere
Funktion oder Charakteristik zu als in den anderen Kunstformen. In der Musik
oder auch im Theater ist die Stimme im weiten Sinne ein Werkzeug, das ich als
Stimmkünstler möglichst souverän bedienen/bespielen kann. In einer Performance
ist das für mich anders. Hier steht mir nicht einfach so meine (ganze) Stimme
zur Verfügung, sondern ich stelle meiner Stimme einen Rahmen oder ein Feld
bereit, auf dem sie so frei wie möglich agieren kann. Frei heißt hier auch,
frei von meinen Vorstellungen, Einfällen, Ideen. Das „unternehmerische Selbst“
muss sich hier zurückhalten zugunsten der Offenheit der Stimme, die so auf auch
für mich unvorhergesehene Weise agieren kann. Das sind zwar alles Aspekte, die
bei der Stimme ebenfalls in anderen künstlerischen Zusammenhängen auftauchen
können, aber hier stehen sie im Zentrum. Durch den auditiven Zugang zur
performativ gestalteten Welt, die sich mir zeigt, wird meine Weltwahrnehmung im
Ganzen ein andere. Bei Nietzsche findet sich der Satz: „Das Ohr hört den Klang!
Eine ganz andere wunderbare Conception derselben Welt“[11].
Im Auge konstituiert sich das die Welt beherrschende Subjekt. Im Hören bin ich
in den Klangraum integriert. Die gesehenen Dinge sind in meiner Reichweite.
Hörend bin ich in der Reichweite des Klangs und damit der Welt. Sehend
konstruiere ich mir meine Welt, hörend bin ich (in) ihr ausgesetzt und werde
Teil von ihr.
Stimmperformance und
Improvisation
Wie
verhält sich die Idee der Stimmperformance zur Improvisation als künstlerischer
Form? In unserer Arbeit mit stimmlichen Gruppenperformances (mit dem Ensemble
KörperSchafftKlang) versuchen wir, beide Formen getrennt voneinander zu
betrachten und zu nutzen, obwohl es natürlich Überlappungen gibt. Doch die
Improvisation ist in erster Linie eine musikalische Form, und die Art des
Zusammentönens beim Improvisieren folgt musikalischen Prinzipien des Hörens und
des aufeinander Reagierens. In der Stimmperformance, so wie ich sie verstehe,
passiert etwas anderes. Wir versuchen auf der einen Seite mit den Ohren so
offen wie möglich zu sein für die stimmlichen Ereignisse, die im Raum
auftreten. Aber die Stimmen bleiben weitgehend aktiv im Rahmen der Vorgaben,
für die ich mich mit meiner Stimme entschieden habe. Dadurch passieren
unvorhergesehene und unvorhergehörte klangliche Begegnungen, deren
musikalischer Charakter frühestens beim Hören entsteht und nicht schon durch
die Art, wie ich (eben improvisierend) auf einen anderen Klang reagiere. Damit
ist nicht verhindert, dass es zum Zusammenklingen von Stimmen kommt und die
Performer diese Momente miteinander auskosten. Das freie Spiel der Stimmen
miteinander hat auch hier seinen Raum. Aber interessanter ist hier, über die
oft sehr strengen Vorgaben, die den Stimmen in der Performance gemacht werden,
zu klanglichen Ereignissen zu kommen, die bei einem musikalischen oder
improvisatorischen Herangehen sehr unwahrscheinlich wären[12].
Aspekte meiner
Stimmperformances
In
meinen solistischen Stimmperformances haben sich im Laufe der Zeit ein paar
Vorlieben und Muster entwickelt. Ich arbeite relativ selten mit
Klangverstärkung und Mikrofon, denn dadurch ändert sich der Raum und das
Raumgefühl sehr stark. Mikrofon und Lautsprecher kreieren einen eigenen
Klangraum, der zu dem ursprünglichen Raum, in dem die Menschen gemeinsam
präsent sind, hinzu gefügt wird. Das ist oft verwirrend und beeinträchtigt die
Wirkung des ursprünglichen Raumes, den man sich in einer Performance nicht ohne
Grund auswählt. Einer Stimme zuhören bedeutet im performativen Zusammenhang,
mit dem Menschen, der seine Stimme zeigt, einen gemeinsamen Raum zu teilen.
Elektronische Verstärkung der Stimmen stellt eine künstliche Veränderung dieses
Raumes dar. Das kann natürlich sehr reizvoll sein, aber in meiner Arbeit hat
sich herausgestellt, dass es oft besser ist, den Raum selbst resonnieren zu
lassen. Nur dann kann eine Stimmperformance mit Ort und Räumlichkeiten spielen.
In meinen Stimmperformances ist das Publikum in
der Regel eingeladen zu kommen und den Ort wieder zu verlassen, wann immer es
will. Die Beziehung zu den Zuhörern bzw. Zuschauern ist einer der zentralen und
oft schwierigen Aspekte in der Installation einer performativen Situation. Bei
mir ist es wichtig, die Zuhörer einzuladen, auf das zu hören, was im Raum mit
meiner Stimme an klanglichem Ereignis auftaucht, ohne zu sehr an Musik zu
denken. Das heißt auch, die Idee eines Konzertes so weit wie möglich in den
Hintergrund zu drängen. Stattdessen habe ich die Vorstellung einer stimmlichen Skulptur im Sinn, die man
sich für eine Weile anhört und dann entscheiden kann, wie lange man sich damit
beschäftigt. Vielleicht geht man nur mal kurz daran vorbei, oder man wird
neugierig, setzt sich hin und versucht den Kontakt mit der Stimmskulptur
aufzubauen. Durch die Entscheidungsfreiheit, die ich dem Publikum gebe, wird es
in einer sehr starken Weise Teil der Situation und der Atmosphäre. Das wiederum
hat auch eine Wirkung auf meine Stimme und ihre klanglichen Bewegungen.
Ich versuche in einer Stimmperformance in tiefem
Kontakt mit den verschiedenen Dimensionen meines Daseins zu sein: mit meinem
Körper, der inneren Situation, meinen Reaktionen auf die äußere Situation und
den Veränderungen, die darin geschehen. Zugleich lasse ich meine Stimme so frei
wie möglich von mir selbst agieren. Zwar versuche ich den Regeln zu folgen, die
ich meiner Stimme im Vorhinein gebe, aber ich möchte während des performativen
Prozesses meine Gefühle, Gedanken oder Schmerzen nicht direkt stimmlich
ausdrücken. Vielmehr versuche ich meiner Stimme den Raum zu geben, sich frei zu
bewegen, während ich mit allem, was sich innerlich und äußerlich ereignet, in
einen engen Kontakt gehe. Starke Verbindung und große Freiheit.
Was ist also eine Stimmperformance? Darauf kann
jeder Künstler und jede Künstlerin nur selbst eine Antwort finden. Aber mit dem
Versuch, die Idee der Stimmperformance für mich einzukreisen, soll deutlich
werden, dass es sich bei der Stimmperformance um eine künstlerische Form
handelt, die sich von anderen Formen der darstellenden Kunst unterscheidet und
womöglich ganz neue Ansätze bietet, mit der Stimme im künstlerischen Raum zu
agieren.
[1] Das ist in den
fünfziger Jahren über einige Versuche nicht hinausgekommen. Hervorzuheben ist
dabei eine Komposition des deutschen Komponisten Dieter Schnebel, der in der
Partitur seines Werkes "Für Stimmen (...missa est) dt. 31,6" von
Wolfsohn´schen Stimmen spricht und sich dabei auf die Stimmen bezieht, die er
in einer Radiosendung über Wolfsohn hörte. Leider hat er aber nie versucht, mit
Wolfsohn Kontakt aufzunehmen, wie er mir in einem Telefongespräch erzählte.
[2] U.a. mit Karlheinz
Stockhausen und Peter Maxwell Davies.
[3] Einer der Autoren war
Paul Pörtner, der Roy Hart auch in radiophonen Hörspielen eingesetzt hat.
[4] Das scheint so eine Art
Schicksal der Stimme zu sein, die bereits von Platon auf die dienende Funktion
reduziert wurde. Vgl. Dazu von mir: Wege zur Stimme, S.23ff.
[5] Vgl. dazu die selbst
schon wieder künstlerische Grafik, die Boris Nieslony und Gerhard Dirmoser zum
Thema Performance Art entwickelt haben: http://gerhard_dirmoser.public1.linz.at/A0/Perform_Basis06_A0.pdf
(Deutsch).
[6] Der amerikanische
Künstler Terry Fox gehörte zu den Pionieren der Performance Art in den 60er und
70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Er und seine Arbeit hatten einen großen
Einfluss auf mich. In einem Gespräch mit ihm sagte mir Terry Fox, dass er, so wie
viele andere Pioniere der Performance Art spätestens Ende der 70er Jahre mit
Performances aufhörte. Sie alle hätten das Gefühl gehabt, dass die Zeit für
diese Art von Kunst vorbei sei, dass die gesellschaftlichen Grundbedingungen es
nicht mehr zuließen, auf diese Art subversive Kunst zu machen. Die Performance
war dabei, an ihrem Erfolg, der ja seitdem stetig zunimmt, zu scheitern. Er hat
auf den Begriff Performance verzichtet und seine Aktionen, die im übrigen dann
oft klanglichen Charakter hatten, als Situationen
bezeichnet. Den Begriff leihe ich mir von Zeit zu Zeit bei ihm aus!
[7] Entstanden ist der
Begriff mehr oder weniger zeitgleich in den fünfziger Jahren in den USA in drei
Bereichen, als Peter Drucker begann, seine Managementkonzepte zu schreiben,
Paul Austin mit der Idee des Sprechaktes die performative Wende in der
Philosophie einleitete und eben Künstler begannen, den Prozess des
Kunstschaffens gleichberechtigt neben das so genannte Ergebnis zu stellen.
[8] Christoph Bartmann,
Leben im Büro, München 2012, S. 2016. Auf das Thema gehe ich ausführlicher ein
in meinem Essay: Künstler sein im Kapitalismus, S.44ff.
[9] Außerdem will ich damit
nicht ausschließen, dass es Performances gibt, bei deren Durchführung niemand
außer den Performern anwesend ist und die auch nicht dokumentiert werden, um
sie später etwas als Video zu zeigen.
[10] Hier zeigt sich ein
weiterer grundlegender Unterschied zwischen dem Manager, der sich als Performer
versteht und einem Performance Artist. Die Aktivitäten des Managers zielen auf
eine gute Performance ab, die sich –
ähnlich und doch anders als in der Wissenschaft – in Zahlen widerspiegeln wird.
Es geht um einen Erfolg im unternehmerischen Handeln, das immer über die
konkrete Aktivität hinausweist, und zwar auf die wirtschaftlichen Konsequenzen
der Aktionen. Die Performancekünstlerin würde diese Mittel-Zweck-Logik für ihre
Kunstaktionen weit von sich weisen. Die
Performance ist das Ergebnis. Sowohl im Sinn des Gelingens der geplanten
Aktion als auch in Bezug auf die Reaktion des Publikums sind Erfolg oder
Misserfolg Nebenaspekte, wenn auch möglicherweise herbeigesehnte.
[11] F. Nietzsche:
Nachgelassene Fragmente 1869-74, Bd. 7, hg. V. Colli-Montinari, S. 440
[12] Gemeinsam mit meiner Partnerin Agnes
Pollner habe ich mit diesen Ideen auf der CD Wellen Laenge experimentiert. Da gibt es einerseits sehr strenge
Regeln des Atmens und der Art, wie wir einen Stimmklang beginnen oder enden
lassen; zugleich haben wir sehr konzentriert auf unsere beiden Stimmen gehört,
dann aber den Stimmen die Freiheit gegeben, in diesem Rahmen sozusagen
unabhängig von unseren musikalischen Vorstellungen zu agieren und zu reagieren.
Ein Klangbeispiel findet sich hier: https://soundcloud.com/hoerfeld/expansion-1.
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