Ralf Peters (stimmfeld)
Langzeit-Stimmperformance/
durational Voice-Performance
„Dialogue
of Memories“
Am/at 20./21. Juni/June
2021 in der Sirgenstein-Höhle/in Sirgensteincave
im
Rahmen des Performance-Film-Projektes STRATA von VestAndPage in den Höhlen der
Schwäbischen Alb 2021/
in the context of the
performance-film-project STRATA by VestAndPage in the caves of the Swabian Alb
2021
Infos
zum Projekt STRATA gibt es hier
https://www.facebook.com/media/set/?vanity=VestAndPage&set=a.283486120003737 und hier:
https://www.vest-and-page.de/strata
(all photos by Marcel Spamann for STRATA by VestAndPAge)
English below!
Bevor ich
meinen Bericht dieser für mich so wichtigen und eindrücklichen Erfahrung gebe,
will ich meinen Dank aussprechen: vor allem an Verena Stenke und Andrea Pagnes
(VestAndPage), die mich eingeladen haben, an diesem großartigen Projekt
„Strata“ teilzunehmen. Ohne die beiden hätte ich wahrscheinlich nie die
Gelegenheit bekommen, an diesen so ungewöhnlichen und fordernden Orten eine
Stimmperformance zu machen. Dank auch an das Team: Marcel Spamann, der die
Fotos gemacht hat und in vieler Hinsicht unterstützend präsent war und an
Douglas Quin, der die wunderbaren Audio-Aufnahmen gemacht hat. Und last but not
at all least an Agnes Pollner, meine Partnerin, die die Performance in der Sirgensteinhöhle
mitgeprägt hat und im Hohle Fels auch stimmlich mit mir präsent sein konnte. Es
war eine Freude mit Euch zu arbeiten!
Performanceplan/Performancebericht
Ort:
Die Sirgensteinhöhle ist eine Höhle
im Achtal, in der Nachweise von Neandertalern und modernen Menschen gefunden
wurden. U.a. der einzige direkte Hinweis in dieser Region auf homo sapiens von
40000 Jahren: in Form von einigen Zähnen. Außerdem hat man auch dort Kunst aus dieser Zeit gefunden. Die
Sirgensteinhöhle gehört mit einigen anderen Höhlen auf der Schwäbischen Alb zum
Weltkulturerbe, weil es sich um offenbar weltweit einzigartige Fundstätten für
früheste figurative Kunst handelt. Die dort gefunden Kleinskulpturen wie der
Wasservogel, der Löwenmensch oder die Venus von Hohle Fels sind in der Tat wie
die Flöten aus Mammutbein umwerfend schön.
Zeit:
Die Nacht auf den 21. Juni 2021 von
Sonnenunter- bis aufgang.
Zeitmessung während der Performance:
Mit der Knotenkordel, die ich von dem
Künstler Terry Fox übernommen habe und die 552 Knoten hat, gemäß der
Schritte/Steine des Labyrinths von Chartres. Die Einbeziehung des Labyrinths
kann man als symbolischen Zwischenschritt auf dem Weg zur Höhle als ursprünglichem
Lebens- und (Kult)-ort verstehen. (Dazu gibt es weiter unten ein Zitat!)
Persönlich ist es ein Schritt in
die Erinnerung, meine Arbeit mit der Kordel und Stimme zu verschiedenen
Anlässen.
Situation:
Ab Sonnenuntergang bis zum
Sonnenaufgang (Sommersonnenwende, also die kürzeste Nacht des Jahres) saß ich
im hinteren Teil der Höhle auf einem Stuhl und habe mit jedem Atemzug einen
Stimmklang gemacht. Und zwar je 552 mal, je Knoten der Kordel einen Atemzug.
Danach eine kurze Pause, um die Beine zu vertreten, einen Schluck zu trinken
etc.
In den Pausen habe ich Begriffe auf
Papier geschrieben, das danach auf den Höhlenboden gelegt wurde. Die Worte
haben sich aus der inneren Bewegung oder der stimmlichen Entwicklung ergeben
und ein Bild, eine Frage oder einen Aspekt bezeichnet, der mir in den Sinn kam.
Durch das Aufschreiben wollte ich diese Gedanken loslassen, um wieder frisch
mit der nächsten Phase beginnen zu können. Die Begriffe auf dem Papier stellten
also keine Ergebnisse dar, sondern
waren eher Hilfen, um den Geist zu entlasten.
Die folgenden Begriffe habe ich
aufgeschrieben:
-
Donnerdialog
-
Re-mind
-
Er-innern
-
Re-member
-
Geburt der Zeit
-
Zeitlos
-
Stimme
-
Sprachrohr
-
Remember me?
-
Die Einsamkeit der Höhle
-
Bin ich bereit?
-
Läuterung
-
Lichtgruß
Die performative Situation in der
Höhle wurde mitgestaltet von Agnes Pollner, die die Nacht über am Eingang der
Höhle saß und meditierend den Ort prägte. Wie vieles andere stellte sich auch
das als nicht so einfach heraus wie wir vermutet hatten. Ihre Aufgabe war
größer als gedacht. Sie wurde in gewisser Weise zu einer Wächterin, die den
Eingang zur Höhle bewachte. (Zur Arbeit von Agnes findet sich hier einiges!)
Ich hatte den Anzug an, der für
eine Produktion mit dem Titel Hamlet-Mühle 2011
entstanden ist. Kostüm Hans von Almsick, tausendschoen) Klassischer Anzug, aber
in einem sehr festen, zugleich durchsichtigen Stoff, der wenig freie Bewegung
zulässt. Damit sollte hervorgehoben werden, dass es nicht um eine Annäherung an
„Natur“ geht, sondern um eine Performance, die sich im Rahmen von Kunst und
Kultur bewegt. Der bewegungshemmende Anzug verweist außerdem darauf, dass ich weder ganz in die Zivilisation noch
in eine Vorzeit passe.
Das Aufnahmeequipment war so
eingerichtet, dass Agnes und Ich über die längste Phase der Nacht alleine in
der Höhle waren. Es gibt eine durchgehende Audioaufnahme. Da es die meiste Zeit
stockdunkel war, wurde nur zu Beginn und am Ende eine Videoaufnahme gemacht.
Stimme: Ich habe mit verschiedenen
stimmlichen Vorgaben gearbeitet, z.T. mit Atem-Stimme-Rhythmen, die sich aus
einer inneren Fokussierung auf Aspekte des Erinnerns und des Kontaktes mit dem
Höhlenraum ergeben.
Die geplanten Stimm- und Atemphasen
waren:
1.
tief in den eigenen (Atem-)Raum atmen.
2.
Durch die Füße bzw. den Kontakt mit Boden/Wand die
in der Höhle gespeicherten Erinnerungen einatmen.
3.
Mit der Stimme hörend gleichzeitig innen und außen
sein.
4.
In die Schichten hineinatmen und mit der Stimme nach
oben bringen (tiefe Töne die höher werden)
5.
In die Schichten hineinatmen und in der Schicht
verweilen.
6.
Wechsel von hören und tönen.
An diese Phasen habe ich mich
während der Nacht gehalten, allerdings nicht in einer vorgegebenen Reihenfolge.
Ich bin je nach innerer Situation auf die ein oder andere Art der Präsenz im
Raum eingeschwenkt.
Als Licht hatte ich für die Pausen
eine Sonnenlampe, die über Solarzellen tagsüber aufgeladen wird. Die Sonne in
den Raum bringen! Während der Stimmaktion war es in der Höhle dunkel, bis am
Morgen auch durch das Loch in der Decke allmählich das Sonnenlicht kam.
Grundlegendes Thema bzw. die innere
Ausrichtung war die Erinnerung,
beginnend mit der bewussten Erinnerung des Performers (und der Unterstützer*innen),
über die Erinnerung des Körpers, des Ortes, des Raumes, der Steine etc. bis
hinein in die imaginative Erinnerung auf der Ebene von Molekül und Atom.
Formgebend war dabei ein spezieller Aspekt der Erinnerungsgeschichte der Höhle:
Die geistige Verbindung zu den Künstlern und Künstlerinnen, die vor ca. 40000
Jahren hier lebten, die Skulpturen und Flöten hergestellt und die
Musikinstrumente gespielt haben.
Ich wollte die Performance in der
Nacht machen, um die Gegenwart soweit wie möglich schlafen zu lassen und
leichter in die Erinnerungsschichten des Ortes eindringen zu können.
Diese Ausrichtung stellte sich im
Laufe der Nacht als sehr viel schwieriger heraus als ich vermutet hatte.
Zunächst einmal begann die Nacht mit einem starken Gewitter. Wir sind bereits
im strömenden Regen zur Höhle gefahren und gegangen. Und in der ersten Phase,
von der ich nicht weiß, wie lange sie gedauert hat, war ich statt mit der
Erinnerung mit der sehr präsenten Gegenwart des Donners konfrontiert. Das war
eine einzig- und großartige Erfahrung. Der Donner kam in die Höhle in einer
Weise, die es mir erlaubt hat, damit stimmlich in einen Dialog zu treten. Ein
Duett mit dem Donner! Im Hintergrund dieser Erfahrung steht eine Legende, die
mit der Sirgensteinhöhle verbunden ist. Darin geht es um die Musen, die Töchter
von Zeus und Memoria, die in der Höhle – wegen ihrer schönen Akustik - sangen.
Bis sie von einem Riesen oder Zyklopen dort eingesperrt wurden. Zeus kam ihnen
zu Hilfe und verwandelte sie in Elstern, so dass sie durch das Loch oben in der
Höhle entfliehen konnten. Diese Legende, die der Mönch Felix Fabri im 15.
Jahrhundert aufgeschrieben hat (im Wortlaut ist sie unten zu finden!), hatte
ich in der Vorbereitung auf die Performance gelesen. Zeus und memoria. Zu
Beginn der Nacht hat sich also Zeus in den Vordergrund gebracht.
Doch auch nach dem Gewitter ist es
mir kaum gelungen, in die Erinnerungsschichten des Ortes und meines Geistes
einzusteigen. Neben den erwarteten Schwierigkeiten durch Kälte und Nässe hat
sich mir eine ganz unerwartete Erfahrung aufgedrängt: Die Höhle schien mir kein
Ort zu sein, an dem die Zeit oder die Geschichte so abläuft wie an anderen
Orten. Die Höhle ist in gewisser Weise zeitlos. Zwar geschehen auch dort Dinge,
aber sie scheinen nicht in der Weise gespeichert zu werden, wie man z.B. in
einem alten Haus manchmal spüren kann, dass es über lange Zeit Leben gab. Die
Höhle kam mir eher vor wie ein Ort, an dem die Zeit geboren wird.
In meinem Konzept, das ich vor der
Performance geschrieben habe (und das unten nachzulesen ist) hatte ich ganz
unbewusst eine Andeutung in diese richtung gegeben. Ich spreche dort nämlich
davon, dass die Höhlen die schwarzen Löcher der Erde sind. Wie in einem
galaktischen schwarzen Loch ist auch in der Höhle die Zeit anderen Gesetzen
unterworfen als außerhalb ihrer.
Merkwürdig war an dieser
Zeitwahrnehmung, die mich die ganze Nacht über nicht verlassen hat, dass mein
Geist oder mein Bewusstsein daran festhing, meine Stimme aber zumindest
manchmal den Kontakt zu den tieferen Zeitschichten herstellen konnte. Das ist
schwer in Worte zu fassen, aber mir schien, dass meine Stimme eher in den
direkten Kontakt mit der Höhle kam, als „Ich“.
Die Nacht war nicht einfach. Es gab
darin sehr lange Phasen, die nicht aufzuhören schienen. Dann wieder verging die
Zeit viel schneller. Am Ende habe ich die letzten 552 Atemzüge und Stimmklänge
weit über den Sonnenaufgang hinaus gestreckt.
Wie klang das alles? Die
Performance fand natürlich ohne Publikum statt. Deswegen kann es keine Berichte
von Zuhörer*innen geben. Es sind aber Audio-Aufnahmen von der Stimmperformance entstanden,
aus denen ich Ausschnitte hier veröffentlichen werde, sobald das Material
freigegeben ist. Im Moment beginnt die Arbeit an dem Film, der aus der Arbeit
von über 20 Künstler*innen, die in den Höhlen agiert haben, entstehen soll.
Erscheinen wird der Film wahrscheinlich nächstes Jahr, also 2022. Darüber werde
ich hier auf dem blog und an andere Stelle informieren.
(Nach der Performance in der
Sirgensteinhöhle sind Agnes Pollner und ich mit Verena Stenke und Andrea Pagnes
in die Hohle Fels gegangen, einer anderen Höhle des Weltkulturerbes auf der
Schwäbischen Alb. Die Hohle Fels ist der Fundort der nach ihr benannten „Venus“
und vieler anderer herausragender Fundstücke aus mittlerweile 80000 Jahren. Sie
ist als Ort geradezu umwerfend und bei meiner Recherche nach dem geeigneten Ort
für meine Nachtperformance war mir schnell klar, dass sie für mich alleine eine
zu große Herausforderung darstellt. Und doch haben wir dort Aufnahmen gemacht,
die wahrscheinlich auch im Film auftauchen werden. Außerdem hatten Agnes und
ich Gelegenheit, eine kurze Stimmimprovisation zu machen, unter Einbeziehung
des Klangs der fallenden Wassertropfen. Auch das eine wunderbare Erfahrung.)
Konzeptueller
Rahmen für die Performance in der Sirgensteinhöhle
Poetische Geologie:
(diesen Text habe ich als Konzept
vor der Performance geschrieben. Ich gebe ihn hier wieder und verweise auf den
Text oben, um deutlich zu machen, wie sich die Performance von der Idee
unterschieden hat. Die Zeitstrukturen von Stein, Höhle, Mensch und Stimme
unterscheiden sich in viel höherem Maße, als ich beim Verfassen des Konzepts
gedacht habe. Das ist eine wunderbare Erkenntnis dieser Performance!)
Angesichts des großen Themas dieses
Projekts „Das Dauerhafte im Körper und das Geologische“ fällt mir zu meiner
Performance der Begriff der „Poetischen Geologie“ ein. Eine Geologie, die durch
den Modus der Erinnerung geprägt ist. Das Geologische ist per se mit der
Vergangenheit in Verbindung. Jeder Stein, jeder Boden und jeder Fels stellen
Spuren dar, die in ihre eigene Vergangenheit führen. Anders gesagt: Jeder Stein
und jede Felswand sind Erinnerungen an sich selbst.
Die Stein gewordene Verflechtung
von Vergangenheit und Gegenwart (des Erinnerns) zeigt sich nirgends so deutlich
wie in einer Höhle. Höhlen sind immer alte Orte, Orte, in denen Zeitalter
vergangen sind und ihre Spuren hinterlassen haben. Höhlen sind die Schwarzen
Löcher der Erde, in denen geheimnisvolle Gesetze der Zeit gelten. Dieses
Geheimnis äußert sich in einer Atmosphäre, einer Stimmung, die nicht
wissenschaftlich, sondern nur künstlerisch erkundet werden kann.
Vom menschlichen Körper lässt sich
ebenfalls sagen, dass er die Spur seiner eigenen Geschichte darstellt und in
seiner gegenwärtigen Präsenz immer auch eine Erinnerung an sich selbst ist. Der
lebendige Organismus des Körpers hat zwar anders als der Stein und die Höhle
die Fähigkeit der Erneuerung und der Entwicklung, doch bleibt auch der Körper
seine Geschichte. Auch die menschliche Stimme ist in diesem Sinne ein
historisches Phänomen. Jeder Stimmklang erinnert an die Geschichte ihrer
stimmlichen Quelle, des Körpers, aus dem er erklingt und des Menschen, der ihn
erklingen lässt. Wie in der Höhle gelten im Stimm-Körper ganz eigene Gesetze
der Zeit. Geschichte ist im Körper Teil seiner lebendigen Gegenwart.
Diese Präsenzen von Zeit und
Geschichte, von Dauerhaftem und Gegenwärtigem – wie sie in Höhlen, Steinen und
Körpern auftreten – miteinander in Verbindung und Dialog zu bringen, ist die
„poetische“ Idee meiner Stimmperformance.
Höhle und Labyrinth:
Das Labyrinth ist die Übertragung
des Höhlenkonzeptes auf die Erdoberfläche. Wie es in der Höhle (in der Regel)
einen Weg hinein gibt, der auch für den Rückweg genutzt wird, wie die Höhle
keine Außenorientierung erlaubt, sondern nur sich selbst zur Orientierung hat,
so eröffnet auch das Labyrinth einen Weg, den man bis zum Ende gehen kann um
dann umzukehren. Auch das Labyrinth bietet keine Möglichkeit einer
Außenorientierung. Man muss den einen Weg bis zum Zentrum gehen.
Kulturhistorisch gibt es eine enge
Verbindung zw. Höhle und Labyrinth (vgl. Dürr: Sedna, passim). Das Labyrinth,
das zum Höhleneingang führt, in die Unterwelt etc.
Der Faden als symbolisches Element,
das mit Labyrinth verbunden ist.
Erinnerung:
Die Methode, mit der ich mich mit
den oben genannten Präsenzen in der Höhle verbinden will, ist eine lebendige Erinnerung, die verschiedene Aspekte und
Vorgehensweisen beinhaltet. Drei davon möchte ich über deutsche und englische
Wörter für das Erinnern deutlich machen:
- Erinnern heißt, sich etwas ins Innere zu holen, eine
Begebenheit, ein Objekt, ein Gefühl oder einen Gedanken in das eigene
Innenleben hinein zu rufen und es dort zu bewegen.
-
Re-mind ist ein Wort das anzeigt, dass Erinnern ein
geistiger Akt ist, sofern er bewusst vollzogen wird. Erinnern heißt denken,
imaginieren, fragen und zweifeln. Zurück in den Geist bringen! Menschen haben
die Fähigkeit, Erinnerungsprozesse zu initiieren und zukünftige
Erinnerungsprozesse vorzubereiten, in dem Erinnerungsgehalte in
erinnerungsfähige Formen gebracht werden.
-
Re-member weist darauf hin, dass der erinnerte
Sachverhalt quasi (wieder) zu einem Mitglied (member) des eigenen Geistes und
Innenlebens wird. Das heißt, er ist mehr als bloßes Material, das sich ganz
nach meinem Belieben formen lässt. Ein Mitglied behält einen Grad an
Selbständigkeit, an dem ich mich orientieren muss und kann. Das zeigt sich auch
in der Stimme. Wenn ich meiner freien Stimme erlaube, die Erinnerungsprozesse
klanglich zu begleiten, wird mein Stimmklang von dem mitbestimmt, woran sich
die Erinnerung heftet. Meine innere Reaktion auf diese Prozesse ist weder
vorherbestimmbar noch kann sie von mir vollständig gelenkt werden. Die Sache
singt, könnte man sagen.
Die bewusste Erinnerung ist
dasjenige, das Kunst und Kultur ermöglicht. Das verbindet uns mit den Menschen,
die vor 40000 Jahren in diesen Höhlen lebten. Sie hatten eine Idee von
bewusster Erinnerung. Nur so waren sie in der Lage, den wunderbaren Wasservogel
zu gestalten, im Moment des Eintauchens ins Wasser. Oder die Flöten, die uns
erlauben, heute dieselben Töne zu hören wie unsere frühesten Vorfahren, die in
diesen Höhlen lebten. Hier taucht eine ganz neue Form des Geologischen auf,
nämlich der von Menschen geformte Materialien, die zum Bild für etwas werden,
was im Material nicht vorgesehen ist: Ein Vogel, ein Löwenmensch, eine Flöte.
Da sind Abstraktions- und Imaginations-leistungen vollbracht worden, von denen
die Kunst und die Künstler*innen bis heute zehren.
ein paar Zitate, mit denen ich u.a. in der
Vorbereitung gearbeitet habe:
Die Höhlenwelt besitzt, so könnte man mit Ernst
Cassirer sagen,„symbolische Prägnanz“, d.h. sie ist mit Sinnhaftigkeit
imprägniert und die mit ihr interagierenden Menschen greifen die in den
natürlichen Formen gegebenen Verweisungen auf und heben sie zusätzlich hervor
oder vervollständigen sie zu ganzheitlichen Gestalten.
aus: Shumon T. Hussain & Thiemo Breyer
Menschwerdung, Verkörperung und
Empathie
Die kretischen Labyrinthe sind
keine Irrgärten sondern kreuzungsfreie Spiralen, und diese Gebilde scheinen
seit Urzeitenein Kreisen und Versinken bedeutet zu haben.
Aus: H.-P. Dürr: Sedna, S. 148
Dass das Labyrinth eine Höhle oder
die Unterwelt war, ist sein alters her schon behautet und vermutet worden. ....
Reisende des 18. Jahrhunderts (...) benutzten bei ihrem Besuch der Höhle ein
langes Seil, einen „Ariadnefaden“, um wieder sicher aus ihr herauszufinden.
Aus: H.-P. Dürr: Sedna, S. 160
Von jenem Stein habe ich den
untrüglichen Beweis erhalten, dass diese Höhle die Wohnstatt war eines
ungeheuerlichen Cyclopen oder großmächtigen Riesen, oder dass dort war ein
Versammlungsort der Nymphen oder der Musen, worin sie mit nächtlichen Gesängen
ihre fröhlichen Feste feierten.(...)
In der Grotte selbst ist ein sehr
schöner Widerhall zum Singen. Solche wohltönenden Grotten suchten die Musen
auf, von denen die Dichter erzählen, sie seien die Töchter des Jupiter und der
Memoria, und hätten dem Apoll gesungen und musiziert, wenn er die Leier schlug.
Ihnen spürte Pyrthenäus nach, ihr Feind, wenn sie in den Grotten sangen und
sperrte sie da ein. Sie aber wurden in Elstern verwandelt und flogen davon zum
Verderben ihres Kerkermeisters. So trägt Ovidius es vor.
Dieser Fabel Erdichtung kommt
unserer Grotte hinlänglich zu, denn der Chorus der Musen, so sie darinnen
sangen, war um des süßen Wohllauts willen wie dafür geschaffen. Da nun aber der
Riese Pyrthenäus dieselben hier fand, wälzte er den Block vor die Öffnung und
schloss die Höhle zu, und ist der Felsklotz hier zu sehen noch heutigen Tages.
Sie riefen aber die Hilfe ihres Vaters Jupiter an, der wandelte ihre Gestalt in
Elstern und sie flogen durch das Loch, das der Höhle Fenster ist, hinaus;
seitdem ist dieses Geschlecht der Vögel geschickt zu Weissagungen weit und
breit durch das Schwaben- und Alamannenland.
Felix Fabri
(all photos by Marcel Spamann for STRATA by VestAndPage)
English Version
In the context of the
performance-film-project STRATA by VestAndPage in the caves of the Swabian Alb
2021
(details on https://www.facebook.com/media/set/?vanity=VestAndPage&set=a.283486120003737 and
https://www.vest-and-page.de/strata)
Ralf Peters (stimmfeld)
durational Voice-Performance
„Dialogue
of Memories“
at 20./21.June 2021 in Sirgensteincave
Before I give my report of this
experience, which was so important and impressive for me, I want to express my
gratitude: first of all to Verena Stenke and Andrea Pagnes (VestAndPage), who
invited me to participate in this great project "Strata". Without them
I would probably never have had the opportunity to do a voice performance in
these so unusual and challenging places. Thanks also to the team: Marcel
Spamann, who took the photos and was present in many supportive ways, and to
Douglas Quin, who made the wonderful audio recordings. And last but not least
to Agnes Pollner, my partner, who helped to shape the performance in the
Sirgenstein cave and was also able to be present with me vocally in the Hohle
Fels. It was a pleasure to work with you all!
Performance plan and report
Site:
Sirgenstein cave, one of the caves
in the Achtal, where traces were found of Neandertals and of modern human
beings. In this cave the only direct evidence of homo sapiens in this region of
about 40 000 years ago was found: some teeth. And there were finds of artistic
objects, too.
The Sirgenstein Cave, along with
several other caves in the Swabian Alb, is a World Heritage Site because they
are apparently unique sites worldwide for the earliest figurative art. The
small sculptures found there, such as the water bird, the lion man or the Venus
of Hohle Fels, are indeed stunningly beautiful, as are the flutes made of
mammoth bone.
(Photo by Ralf Peters)
Time:
Night to the 21st of June, summer
solstice, from sunset to sunrise.
Time Measuring during the
performance:
With a knot cord, which I took from
the artist Terry Fox and which has 552 knots, according to the steps/stones of
the labyrinth of Chartres. The inclusion of the labyrinth can be understood as
a symbolic intermediate step on the path to the cave as the original place of
life and (cult).
On a personal level, it is a step
into memory, my earlier work with cord and voice on different occasions.
From sunset to sunrise (summer
solstice, i.e. the shortest night of the year) I sat on a chair in the back of
the cave and made a vocal sound with each breath. Each period had 552 sounds,
one breath per knot of the cord. Then a short break to stretch my legs, have a
drink, etc.
During the breaks I wrote words on
paper, which were then laid on the floor of the cave. The words arose from the
inner movement or vocal development and denoted an image, a question or an
aspect that came to my mind. By writing them down, I wanted to let go of these
thoughts so that I could start fresh again with the next phase. So the terms on
the paper did not represent results,
but were rather a way to unburden the mind.
These are the words that I have
written down:
Re-mind
Donnerdialog (dialogue of thunder)
Er-innern (German for remember,indicates the inner
sphere)
Re-member
-
Geburt der Zeit (birth of time)
-
Zeitlos (out of time)
-
Stimme (voice)
-
Sprachrohr (mouthpiece(?))
-
Remember me?
-
Die Einsamkeit der Höhle (loneliness of the cave)
-
Bin ich bereit? (Am I ready?)
-
Läuterung (purification (?))
-
Lichtgruß (greeting of light(?))
(this photo by Ralf Peters)
The performative situation in the cave was co-created by Agnes Pollner,
who spent the night sitting at the entrance to the cave and meditating on the
place. Like many other things, this turned out to be not as easy as we had
assumed. Her task was greater than suspected. She became, in a sense, a
guardian who watched over the entrance to the cave. More about Agnes and her
work you can find here!
I wore the suit originally created
for a production titled Hamlet
Mill in 2011. (Costume Hans von Almsick, tausendschön) Classic suit,
but in a very firm, at the same time transparent fabric that allows little free
movement. To emphasise that this performance is not an approximation of
"nature" but a performance that moves within the framework of art and
culture. The movement-restricting suit also refers to the fact that I neither quite fit into civilisation
nor into a prehistoric era.
The recording equipment was set up
so that Agnes and I were alone in the cave for the longest part of the night.
There is a continuous audio recording. Since it was pitch dark most of the time,
a video recording was only made at the beginning and at the end.
Voice: I worked with different
vocal presets, partly with breath-voice rhythms resulting from an inner focus
on aspects of remembering and contact with the cave space.
The planned voice and breath phases
were:
1. breathing deeply into my inner
(breathing) space.
2. breathing in through the feet or
through contact with the floor/wall to find the memories stored in the cave.
3. being inside and outside at the
same time, listening with the voice.
4. breathing into the layers and
bring them up with the voice.
5. breathing into the layers and
staying in them.
6. Moving between listening and
sounding.
I followed these phases during the
night, but not in a predetermined order. Depending on the inner situation, I
switched to one or the other kind of presence in the room.
For the breaks, I had a sun-lamp as
light, which is charged by solar cells during the day. Bringing the sun into
the room! During the vocal action it was dark in the cave until in the morning
the sunlight gradually came through the hole in the ceiling.
The basic theme or inner
orientation during the performance was memory,
starting with the conscious memory of the performer (and the supporters),
through the memory of the body, the place, the space, the stones, etc. to the
imaginative memory at the level of molecule and atom. The form was determined
by a special aspect of the cave's history of memory: the spiritual connection
to the artists who lived here about 40,000 years ago, who made the sculptures
and flutes and played the musical instruments.
I wanted to do the performance at
night in order to let the present sleep as much as possible and to be able to
penetrate the memory layers of the place more easily.
This alignment turned out to be
much more difficult during the night than I had suspected. First of all, the
night started with a heavy thunderstorm. We already drove and walked to the
cave in the pouring rain. And in the first phase, from which I don't know how
long it lasted, I was confronted with the very presence of thunder instead of
memory. That was a unique and great experience. The thunder came into the cave
in a way that allowed me to dialogue with it vocally. A duet with the thunder!
In the background of this experience is a legend connected with the Sirgenstein
Cave. It is about the Muses, the daughters of Zeus and Memoria, who sang in the
cave - because of its beautiful acoustics. Until they were imprisoned there by
a giant or cyclop. Zeus came to save them and turned them into magpies so that
they could escape through the hole at the top of the cave. I had read this
legend, written down by the monk Felix Fabri in the 15th century (the text can
be found below!), in preparation for the performance. Zeus and Memoria. So at
the beginning of the night, Zeus brought himself to the fore.
But even after the thunderstorm, I
barely managed to enter the memory layers of the place and my mind. Apart from
the expected difficulties of cold and wet, a quite unexpected experience forced
itself upon me: The cave didn't seem to me to be a place where time or history
happened the way it does in other places. In a way, the cave is timeless. While
things happen there too, they don't seem to be stored in the way you can
sometimes feel in an old house - that there has been life for a long time. The
cave felt more like a place where time is born.
In the concept I wrote before the
performance (which you can read below) I had unconsciously given a hint in this
direction. I talk about the caves being the black holes of the earth. As in a
galactic black hole, time is subject to different laws in the cave than outside
it.
What was strange about this
perception of time, which did not leave me all night, was that my mind or consciousness
was stuck to it, but my voice could at least sometimes make contact with the
deeper layers of time. It's hard to put into words, but it seemed to me that my
voice came into direct contact with the cave rather than "I".
The night was not easy. There were
very long periods in it that didn't seem to stop. Then again, the time passed
much faster. In the end I stretched out the last 552 breaths and voice sounds
far beyond sunrise.
What did this all sound like? The
performance took place without an audience, of course. That's why there can be
no reports from the listeners. However, there are audio recordings of the voice
performance from which I will publish excerpts here as soon as the material is
released. At the moment, work is beginning on the film that will be made from
the work of over 20 artists who performed in the caves. The film will probably
be released next year, in 2022, and I will inform you about it here on the blog
and elsewhere.
(After the performance in the
Sirgenstein cave, Agnes Pollner and I went with Verena Stenke and Andrea Pagnes
to the Hohle Fels, another World Heritage cave in the Swabian Alb. The Hohle
Fels is the site where the
"Venus" named after it was found - and many other outstanding finds
dating back until 80000 years ago. As a location, it is downright stunning, and
when I was researching a suitable place for my night performance, I quickly
realised that it would be too much of a challenge for me alone. And yet we shot
footage there that will probably also appear in the film. In addition, Agnes
and I had the opportunity to do a short vocal improvisation, incorporating the
sound of the falling water drops. This was a wonderful experience, too.)
Conceptual framework for the
performance in the Sirgenstein Cave.
Poetic Geology:
(I wrote this text as a concept
before the performance. I present it here and refer to the text above to make
clear how the performance differed from the concept. The time structures of
stone, cave, human and voice differ to a much greater degree than I thought
when I wrote the concept. That is a wonderful result of this performance!)
Given the broad theme of this
project, "The Permanent in the Body and the Geological", the term
"Poetic Geology" comes to mind in relation to my performance. A
geology informed by the mode of memory. The geological is per se connected to
the past. Every stone, every soil and every rock represent traces that lead to
their own past. In other words, every stone and every rock face are memories of
themselves.
The interweaving of past and
present (of remembering) that has become stone is nowhere more evident than in
a cave. Caves are always old places, places where ages have passed and left
their traces. Caves are the black holes of the earth, where mysterious laws of
time apply. This mystery expresses itself in an atmosphere, a mood that cannot
be explored scientifically, but only artistically.
It can also be said of the human
body that it represents the trace of its own history and in its present
presence is always a memory of itself. Although the living organism of the
body, unlike the stone and the cave, has the capacity for renewal and
development, the body also retains its history. The human voice is also a historical
phenomenon in this sense. Every vocal sound recalls the history of its vocal
source, the body from which it sounds and the human being who makes it sound.
As in the cave, very specific laws of time apply in the vocal body. History is
part of its living presence in the body.
To bring these presences of time
and history, of the permanent and the present - as they occur in caves, stones
and bodies - into connection and dialogue with each other is the
"poetic" idea of my voice performance.
Cave and labyrinth:
The labyrinth is the transfer of
the cave concept to the surface of the earth. Just as there is (usually) a way
into the cave that is also used for the way back, just as the cave does not
allow any external orientation but only itself for orientation, the labyrinth
also opens up a path that one can follow to the end and then turn back. The
labyrinth also offers no possibility of external orientation. You have to go
the one way to the centre.
Culturally and historically, there
is a close connection between cave and labyrinth (cf. Dürr: Sedna, passim). The
labyrinth leading to the cave entrance, to the underworld, etc.
The thread as a symbolic element
connected with labyrinth.
Memory:
The method I want to use to connect
with the above presences in the cave is living memory, which involves different
aspects and approaches. I would like to make three of them clear through German
and English words for remembering:
- Remembering means to bring
something inside, to call an event, an object, a feeling or a thought into
one's inner life and to move it there.
- Re-mind is a word that indicates
that remembering is a mental act, as long as it is done consciously.
Remembering is thinking, imagining, questioning and doubting. Bringing it back
to the mind! Humans have the ability to initiate memory processes and to
prepare future memory processes by bringing memory contents into rememberable
forms.
- Re-member indicates that the
remembered facts become a member of one's own mind and inner life (again). That
is, it is more than mere material that can be shaped at will. A member retains
a degree of independence to which I must and can orient myself. This is also
evident in the voice. If I allow my free voice to accompany the memory
processes sonically, my voice sound is co-determined by what the memory
attaches itself to. My inner reaction to these processes is neither
predeterminable nor can it be completely directed by me. The thing sings, you
might say.
Conscious memory is what makes art
and culture possible. This connects us with the people who lived in these caves
40000 years ago. They had an idea of conscious memory. Only in this way were
they able to create the wonderful water bird, at the moment of immersion in the
water. Or the flutes that allow us to hear the same sounds today as our
earliest ancestors who lived in these caves. Here, a whole new form of the
geological emerges, that of man-made materials that become an image for
something not intended in the material: a bird, a lion-man, a flute. This was a
feat of abstraction and imagination that art and artists continue to draw on to
this day.