Tuesday 7 December 2021

Corona, Yoga und/and Buddhismus

 

Corona, Yoga und Buddhismus

 

English below

 

In meinem Nachdenken über die Frage, warum vergleichsweise viele Menschen, denen man nicht ohne weiteres soziale und emotionale Intelligenz absprechen kann, sich nicht impfen lassen, habe ich zwar keine Antwort gefunden, aber bin auf ein Detail gestoßen, das mir wert scheint, etwas genauer betrachtet zu werden.

Die meisten Impfgegner in meinem Bekanntenkreis besitzen eine gewisse Affinität zu spirituellen Themen. Ich versuche eigentlich den Begriff des Spirituellen in meinem Denken und Schreiben so weit wie möglich zu verhindern, aber hier passt er als Sammelbegriff für verschiedene Strömungen ganz gut. Auf diesem spirituellen Feld sind zwei asiatische Ausrichtungen besonders prägend und präsent. Yoga und Buddhismus.

Auffällig ist, dass es so gut wie keine buddhistischen Lehrer*innen gibt, die gegen die Impfung sind. Im Gegenteil, viele von ihnen treten stark für die Impfung ein. (Ausnahmen mögen die Regel bestätigen, aber ich weiß von keiner Autorität aus den buddhistischen Schulen, die sich gegen die Impfung positioniert hätte.)

Ganz anders sieht es beim Yoga aus. Da gibt es offenbar auf so gut wie allen Hierarchie-Ebenen Lehrer und Lehrerinnen, die zum Teil vehement gegen das Impfen sind und unter ihren Anhänger*innen dafür werben, sich nicht impfen zu lassen. Wie kommt es zu diesem gravierenden Unterschied?

(Was jetzt folgt, ist keine Antwort auf diese Frage, sondern nur ein erstes Herantasten. Und ich muss hoffentlich nicht betonen, dass Yoga als Menschheitswissen einen unermesslichen Wert besitzt. Ich richte mein Augenmerk nicht auf das große historische System des Yoga, sondern auf seine psycho-soziale Rolle in der spätkapitalistischen Moderne – die vom Yoga aller Wahrscheinlichkeit nach überlebt wird.)

Mir fällt dazu etwas ein, das der Philosoph Max Scheler – auf den ich als inspirierende Quelle zum Weiterdenken ja des Öfteren zu sprechen komme – vor knapp hundert Jahren notiert hat. Scheler hat sich an einer Analyse der verschiedenen Wissensformen in verschiedenen Zeiten und Kulturen versucht und die wichtigste Unterscheidung, die er da getroffen hat, ist die in Herrschaftswissen und Heilswissen. Ich habe an anderer Stelle einiges dazu gesagt. Hier ist nur wichtig, dass Scheler Yoga als eine Form des Herrschaftswissens verstanden hat. Ansonsten ist Herrschaftswissen eigentlich das dominante Wissen in den westlichen modernen Gesellschaften, die mehr oder weniger durchgehend vom Geist des Kapitalismus gefärbt sind. Das westliche Herrschaftswissen richtet sich primär nach außen auf die Welt. Das erste Ziel des westlich-modernen Menschen ist die Weltbeherrschung. Im Yoga dagegen ist das Herrschaftswissen auf den Menschen selbst gerichtet, und zwar nicht von außen, sondern aus einer Innenperspektive. Allerdings geht es auch hier um Kontrolle und Herrschaft, Herrschaft über den Körper.

So gesehen ist es kein Wunder, dass Yoga zu der attraktivsten Körperpraxis des westlichen Neoliberalismus geworden ist. Hier kann man, wenn man nicht allzu genau hinschaut, die Muster des kapitalistischen Geistes, die wir im Übrigen alle in uns implantiert haben, wunderbar auf die Beschäftigung, oder besser: Optimierung des eigenen Körpers übertragen. Wenn ich oder mein Geist souverän über meinen Körper verfüge, wenn mein Körper und meine Zellen "rein" geworden sind (da schaudert es den politisch wachen Geist!), wenn er gereinigt ist von allen alten Gewohnheiten und Bequemlichkeiten, dann ist er stark, resilient und stört die spirituellen Bestrebungen nicht mehr. In dieser Logik kann eine Injektion von außen nur abgelehnt werden. Es geht ja gerade darum, die äußeren Einflüsse zurückzudrängen, um souverän zu werden.

 

Im Buddhismus sieht das anders aus. Hier gibt es nicht die starke Fokussierung auf den Körper. Dadurch kommt man buddhistisch gedacht auch nicht auf die Idee, man könne sich von äußeren Einflüssen (mit einem starken Immunsystem) abschotten und vor Angriffen durch Krankheit oder Verletzung sicher sein. Das buddhistische Ziel besteht nicht darin, Krankheit, Verletzlichkeit und Leiden zu verhindern, sondern den Geist darin zu schulen, damit umzugehen, ohne davon beherrscht zu werden. Buddhistisch scheint viel mehr die Interaktion zwischen Mensch und Welt im Zentrum des Interesses zu stehen als im Yoga. Deswegen ist das Impfen aus buddhistischer Sicht schon als Akt des Mitgefühls geboten – unabhängig davon, ob ich mich selbst durch das Virus gefährdet sehe oder nicht.

Ich will nicht behaupten, dass es im buddhistischen Denken nicht auch Anknüpfungspunkte zum Geist des Kapitalismus gibt, aber in der Corona-Pandemie verläuft (zumindest) eine Grenzlinie zwischen dem spätkapitalistischen egozentrierten Denken und einem Denken, das Verletzlichkeit als anthropologische Konstante wahrnimmt, mitten durch das spirituelle Feld.

Selbstverständlich ist die Sache nicht ganz so einfach, wie ich sie hier schildere. Doch irgendwas muss dran sein, sonst gäbe es nicht die auffallend entgegengesetzten Positionen vieler buddhistischer und yogischer Lehrer*innen.

Was sagt das jetzt über das Künstlersein im Kapitalismus, mein eigentliches Thema? Ich fürchte, relativ wenig. Der Riss zwischen Impfbefürwortern und Impfgegnern verläuft auch mitten durch das Feld der Kunst. Das Beispiel Yoga boostert im besten Fall eine alte Erkenntnis: Der kapitalistische Geist, der die Menschheit auch ohne Corona an den Rande des Abgrunds geführt hat, ist nicht etwa nur im Wirtschaftsleben präsent, sondern stellt eine Lebensform dar, die sich längst in Bereiche eingeschlichen hat, die eigentlich mal als Alternative und Suche nach dem besseren, nicht kapitalistisch geprägten Leben angefangen haben. Es bleibt also auch für Künstler*innen eine interessante Aufgabe immer wieder herauszufinden, wo sich in unserem Denken die kapitalistische Logik längst eingenistet hat.

 

 

 


 

Corona, Yoga and Buddhism

 

In my reflection on the question of why a relatively large number of people, who cannot easily be accused of having no social and emotional intelligence, do not get vaccinated, I have not found an answer, but I have come across a detail that seems to me to be worth looking at a little more closely.

Most of the anti-vaccinationists in my circle of acquaintances have a certain affinity with spiritual issues. I actually try to avoid the term spiritual in my thinking and writing as much as possible, but here it fits quite well as a collective term for different tendencies. In this spiritual field, two Asian orientations are particularly influential and present. Yoga and Buddhism.

It is striking that there are almost no Buddhist teachers who are against vaccination. On the contrary, many of them are strongly in favour of vaccination. (Exceptions may prove the rule, but I don't know of any authority from the Buddhist schools who has taken a position against vaccination).

The situation is quite different with Yoga. There are apparently teachers at almost all levels of the hierarchy, who are vehemently opposed to vaccination and who promote among their followers that they should not be vaccinated. How does this serious difference come about?

(What follows is not an answer to this question, but only a first approach. And I hope I don't have to emphasise that yoga has immeasurable value as human knowledge. I am not directing my attention to the great historical system of yoga, but to its psycho-social role in late capitalist modernity - which in all probability will be survived by yoga).

I am reminded of something that the philosopher Max Scheler - to whom I often refer as an inspiring source for further thinking - noted almost a hundred years ago. Scheler tried to analyse the different forms of knowledge in different times and cultures, and the most important distinction he made was between knowledge of domination and knowledge of salvation. I have said something about this elsewhere. Here it is only important that Scheler understood Yoga as a form of knowledge of domination. Otherwise, knowledge of domination is actually the leading knowledge in Western modern societies, which are more or less consistently coloured by the spirit of capitalism. Western knowledge of domination is primarily directed outwards towards the world. The first goal of Western modern man is world domination. In yoga, on the other hand, the knowledge of domination is directed at the human being himself, not from the outside, but from an inner perspective. However, here too it is about control and domination, domination over the body.

Seen in this light, it is no wonder that yoga has become the most attractive body practice of Western neoliberalism. Here, if you don't look too closely, you can wonderfully transfer the patterns of the capitalist mind, which incidentally we all have implanted in us, to the occupation, or better: optimisation, of your own body. When I, or my mind, am sovereign over my body, when my body and cells have become "pure" (this expression already makes the politically alert mind shudder!), when it is cleansed of all old habits and comforts, then it is strong, resilient and no longer interferes with spiritual aspirations. In this logic, an injection from outside can only be rejected. After all, the point is to push back the external influences in order to become sovereign.

 

In Buddhism, things look different. Here there is not the strong focus on the body. In Buddhist terms, this means that you cannot isolate yourself from external influences (with a strong immune system) and be safe from attacks through illness or injury. The Buddhist goal is not to prevent illness, vulnerability and suffering, but to train the mind to deal with them without being dominated by them. Buddhist seems to focus much more on the interaction between human beings and the world than yoga. Therefore, from a Buddhist point of view, vaccinating is already commanded as an act of compassion - regardless of whether I see myself endangered by the virus or not.

I don't want to claim that there are not also points of connection to the spirit of capitalism in Buddhist thinking, but in the Corona pandemic (at least) a frontier line between late capitalist ego-centred thinking and a thinking that perceives vulnerability as an anthropological constant runs right through the spiritual field.

Of course, the matter is not quite as simple as I am describing it here. But there must be something in it, otherwise there wouldn't be the strikingly opposing positions of many Buddhist and yogic teachers.

What does this say about being an artist in capitalism, my main topic? Relatively little, I fear. The rift between vaccination supporters and vaccination opponents also runs right through the field of art.

At best, the example of yoga boosts an old insight: the capitalist spirit, which has led humanity to the edge of the abyss even without Corona, is not only present in economic life, but represents a way of life that has long since crept into areas that actually began as an alternative and a search for a better, non-capitalist life. It remains an interesting task for artists, too, to find out again and again where capitalist logic has long since taken root in our thinking.