Saturday, 26 October 2019

Lesungen/Paarungen


Hugo Ball und Alfred Wolfsohn;
Theodor Fontane und Stewart O´Nan


In diesem Herbst sind die meisten Veranstaltungen, bei denen ich als Vorlesender mitmache, in Paarungen geordnet, die auf den zweiten Blick neben der terminlichen auch eine thematische Verbindung aufzeigen.
Im Oktober haben sich Theodor Fontane und Stewart O´Nan bei Lesungen an zwei aufeinander folgenden Tagen in Köln zu einem Stelldichein in mir getroffen.
Über die stilistischen und inhaltlichen Parallelen habe ich schon vor kurzem (auf FB) ein paar Bemerkungen gemacht, die ich hier wiederhole:

„Bei allen großen Unterschieden zwischen diesen beiden Schriftstellern gibt es doch ein paar interessante Parallelen. Beide liefern in Teilen ihres Werkes ein unaufgeregtes Sittenbild ihrer Zeit, Fontane vom Berlin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, O´Nan von Pittsburgh Ende des 20. Jahrhunderts. Beide schreiben mit großer Sympathie für ihre alles andere als großartigen oder perfekten Protagonisten. Beiden gelingen sehr starke Frauenfiguren. Und dann heißt auch noch Fontanes Frau Emilie und die von Henry Emily (ok, das ist an den Haaren herbeigezogen...). Beide sind meiner Meinung nach unbedingt lesenswert.“

Bei den Lesungen ist mir außerdem aufgefallen, dass beide Autoren sehr ähnlich mit der Mischung von Humor und Melancholie umgehen. Beide können sehr lustig sein, aber darunter spürt man immer eine gewisse Traurigkeit, die im übrigen verhindert, dass die lustigen Protagonisten lächerlich erscheinen.

In November treffen sich Hugo Ball und Alfred Wolfsohn. Am 6. November lese ich bei der Vorstellung von Balls „Flucht aus der Zeit“ in der Karl-Rahner-Akademie und am 9. November aus den Schriften von Alfred Wolfsohn zu seinen Erfahrungen als Deutscher und Jude im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts und als Soldat im 1. Weltkrieg:
„..den Gestank der Welt vertreiben“ habe ich den Abend genannt.

Auch bei diesen beiden springen einem die Gemeinsamkeiten nicht direkt ins Auge. Beim genaueren Hinsehen zeigen sich dann doch einige Parallelen, die wahrscheinlich auch der Grund sind, warum ich mich mit beiden Figuren seit längerem beschäftige.
Für beide war die Erfahrung des 1. Weltkrieges entscheidend für den Verlauf ihres Lebens. Hugo Ball, zehn Jahre älter als Wolfsohn, hat den Krieg zum großen Teil im Exil verbracht und wurde zu einem der radikalsten Kritiker des Krieges im allgemeinen und der Rolle des deutschen Kaiserreichs darin im besonderen. Er war der Mitbegründer von DADA in Zürich 1916 und hat das Lautgedicht zwar nicht erfunden, aber doch in die Literatur und Kunst eingeführt. In seiner „Totenklage“ wurde das Lautgedicht zu einer radikalen Absage nicht nur des Krieges, sondern der Gesellschaft, der Kultur, selbst der Grammatik und Semantik, die diese Menschheitskatastrophe des Krieges hervorgebracht haben. Zum hundertjährigen Jubiläum habe ich gemeinsam mit dem Ensemble KörperSchafftKlang die „Totenklage“ in eine zeitgenössische performative Form gebracht.

Wolfsohn hat den 1. Weltkrieg als junger Mann in den Schützengräben an den verschiedenen Fronten verbracht und musste für den Rest seines Lebens mit den traumatischen Erfahrungen dieser vier Jahre kämpfen. (Wie Ball hat auch er später die Erfahrung der Emigration machen müssen. Sein präferiertes Ziel für seine Flucht aus Nazi-Deutschland war übrigens die Schweiz, in der Ball Zuflucht gefunden hatte. Aber das ist Wolfsohn nicht gelungen. Er ist in London gelandet.)
Ähnlich wie bei Hugo Ball hat Wolfsohn dieser Kampf an die Ränder eines konventionellen Verständnisses von Kunst und Kultur geführt. Ball versucht in der tiefen Kritik an seiner Epoche eine „Flucht aus der Zeit“ anzutreten, die trotzdem auf die Zeit wirken sollte. Vom DADA ist er bis in die Arme der katholischen Kirche gewandert und man muss bezweifeln, ob dort irgendeine Rettung zu erwarten ist. Aber der Gestus, dieses zerstörerische Spiel nicht mehr mitmachen zu wollen und andere Wege des Lebens und der Kunst zu suchen, ist heute, in Zeiten von Klimakatastrophe, Zerstörung der Fauna und Flora und der Wiederkehr der Gewalt als gerechtfertigtem Mittel der Politik in vieler Hinsicht vorbildhaft. Auch und vielleicht gerade für Künstler.

Wolfsohn hat für sich die menschliche Stimme als Feld gefunden, das ihn aus der alten und anachronistischen Auffassung von Kunst und vom „Menschen“ leiten sollte. Seine Öffnung des Verständnisses hin zur „menschlichen Stimme“, in der alle möglichen stimmlichen Äußerungen wert sind gehört zu werden und im Prinzip als künstlerisches Material zur Verfügung stehen, brauchte den im Krieg entstandenen Mut der Verzweiflung, um auch den modernen Menschen mit all seinen Facetten zu erkennen, den hellen und den dunklen, den starken und den schwachen, den vernünftigen und den verrückten. Die Kunst im allgemeinen und die Stimmkunst im Besonderen waren für ihn die Wege, um diese Facetten zum Vorschein zu bringen, ohne ihnen zu erlauben, auf die Welt mit aller Kraft destruktiv zu wirken.
Von den Rändern her das Zentrum neu figurieren. So könnte man die Grundbewegung des Schaffens der beiden charakterisieren. Beide haben die Notwendigkeit gespürt, aus der aktuellen Kultur einen Schritt rauszutreten, um aus einer gewissen Distanz den Blick zu befreien, um andere, womöglich menschlichere Wege der Entwicklung der Gesellschaft – mit und durch die Kunst – zu erkennen.
Beide sind zeitlebens Außenseiter geblieben, doch beide haben es auf untergründige Weise geschafft, bis heute präsent zu bleiben. Das Werk Hugo Balls wird in einer beeindruckenden Ausgabe im Wallstein-Verlag neu verlegt. Ich lese am 6. Nov. aus der Neuausgabe von „Die Flucht aus der Zeit“.
Wolfsohn ist in seinen lehrenden Nachfolgerinnen und Nachfolgern noch immer lebendig, die meistens den Namen seines Schülers Roy Hart verwenden. (www.roy-hart-theatre.com)

Es gibt noch ein paar weitere Parallelen, die mir deren Werk und Leben so interessant machen. Beiden war klar, dass das Denken alleine auch dann nicht ausreicht, Veränderungen anzustoßen, wenn das Gedachte verschriftlicht in die Welt gelangt. Es bedarf einer Praxis, um sich zu ändern. Bei Wolfsohn war das der praktische Umgang mit seiner eigenen Stimme und damit in enger Verbindung die Übung des Hörens – auf sich selbst wie auf andere. Nur wenn ich mit meiner Stimme in Kontakt trete, sie in Verbindung bringe mit meinem Körper, meiner inneren und der je äußeren Situation meines Lebens ergibt sich daraus eine Änderung, die man als Öffnung, als Entwicklung oder als Wachstum bezeichnen kann. Bei Hugo Ball ist der entsprechende Begriff die Askese. Askese heißt ursprünglich Übung. Nach Ball gehört es zum Menschsein, zu bestimmten Bedürfnissen nein sagen zu können, um die mit ihnen verbundene Energie in andere Richtungen zu lenken. Diese oft religiös konnotierte Praxis ist Übungssache.
Künstler*innen erzähle ich hier nicht viel neues. Die künstlerische Praxis ist in den meisten Fällen mit dem Aspekt des Übens und des Verzichts verbunden. Künstlerisch übe ich eine Praxis ein, für die ich mich entschieden habe und bin bereit, dieser Praxis andere Bedürfnisse zu opfern. Das hat noch nichts mit Religion zu tun. Genau deshalb ist Hugo Ball heute so interessant zu lesen. Man muss nicht seinem religiösen Weg folgen, aber man kann ihn als ein konsequentes Beispiel dafür betrachten, seinen Weg zu gehen. Das gilt ebenfalls für Alfred Wolfsohn.

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