Hugo
Ball und Alfred Wolfsohn;
Theodor
Fontane und Stewart O´Nan
In
diesem Herbst sind die meisten Veranstaltungen, bei denen ich als Vorlesender
mitmache, in Paarungen geordnet, die auf den zweiten Blick neben der terminlichen
auch eine thematische Verbindung aufzeigen.
Im
Oktober haben sich Theodor Fontane und Stewart O´Nan bei Lesungen an zwei
aufeinander folgenden Tagen in Köln zu einem Stelldichein in mir getroffen.
Über
die stilistischen und inhaltlichen Parallelen habe ich schon vor kurzem (auf
FB) ein paar Bemerkungen gemacht, die ich hier wiederhole:
Bei
den Lesungen ist mir außerdem aufgefallen, dass beide Autoren sehr ähnlich mit
der Mischung von Humor und Melancholie umgehen. Beide können sehr lustig sein,
aber darunter spürt man immer eine gewisse Traurigkeit, die im übrigen
verhindert, dass die lustigen Protagonisten lächerlich erscheinen.
In
November treffen sich Hugo Ball und Alfred Wolfsohn. Am 6. November lese ich
bei der Vorstellung von Balls „Flucht aus der Zeit“ in der Karl-Rahner-Akademie
und am 9. November aus den Schriften von Alfred Wolfsohn zu seinen Erfahrungen
als Deutscher und Jude im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts und als Soldat im
1. Weltkrieg:
„..den
Gestank der Welt vertreiben“ habe ich den Abend genannt.
Auch
bei diesen beiden springen einem die Gemeinsamkeiten nicht direkt ins Auge.
Beim genaueren Hinsehen zeigen sich dann doch einige Parallelen, die
wahrscheinlich auch der Grund sind, warum ich mich mit beiden Figuren seit
längerem beschäftige.
Für
beide war die Erfahrung des 1. Weltkrieges entscheidend für den Verlauf ihres
Lebens. Hugo Ball, zehn Jahre älter als Wolfsohn, hat den Krieg zum großen Teil
im Exil verbracht und wurde zu einem der radikalsten Kritiker des Krieges im
allgemeinen und der Rolle des deutschen Kaiserreichs darin im besonderen. Er
war der Mitbegründer von DADA in Zürich 1916 und hat das Lautgedicht zwar nicht
erfunden, aber doch in die Literatur und Kunst eingeführt. In seiner
„Totenklage“ wurde das Lautgedicht zu einer radikalen Absage nicht nur des
Krieges, sondern der Gesellschaft, der Kultur, selbst der Grammatik und
Semantik, die diese Menschheitskatastrophe des Krieges hervorgebracht haben.
Zum hundertjährigen Jubiläum habe ich gemeinsam mit dem Ensemble
KörperSchafftKlang die „Totenklage“
in eine zeitgenössische performative Form gebracht.
Wolfsohn
hat den 1. Weltkrieg als junger Mann in den Schützengräben an den verschiedenen
Fronten verbracht und musste für den Rest seines Lebens mit den traumatischen
Erfahrungen dieser vier Jahre kämpfen. (Wie Ball hat auch er später die Erfahrung der Emigration machen müssen. Sein präferiertes Ziel für seine Flucht aus Nazi-Deutschland war übrigens die Schweiz, in der Ball Zuflucht gefunden hatte. Aber das ist Wolfsohn nicht gelungen. Er ist in London gelandet.)
Ähnlich wie bei Hugo Ball hat Wolfsohn dieser
Kampf an die Ränder eines konventionellen Verständnisses von Kunst und Kultur
geführt. Ball versucht in der tiefen Kritik an seiner Epoche eine „Flucht aus
der Zeit“ anzutreten, die trotzdem auf die Zeit wirken sollte. Vom DADA ist er
bis in die Arme der katholischen Kirche gewandert und man muss bezweifeln, ob
dort irgendeine Rettung zu erwarten ist. Aber der Gestus, dieses zerstörerische
Spiel nicht mehr mitmachen zu wollen und andere Wege des Lebens und der Kunst zu
suchen, ist heute, in Zeiten von Klimakatastrophe, Zerstörung der Fauna und
Flora und der Wiederkehr der Gewalt als gerechtfertigtem Mittel der Politik in
vieler Hinsicht vorbildhaft. Auch und vielleicht gerade für Künstler.
Wolfsohn
hat für sich die menschliche Stimme als Feld gefunden, das ihn aus der alten
und anachronistischen Auffassung von Kunst und vom „Menschen“ leiten sollte.
Seine Öffnung des Verständnisses hin zur „menschlichen Stimme“, in der alle
möglichen stimmlichen Äußerungen wert sind gehört zu werden und im Prinzip als
künstlerisches Material zur Verfügung stehen, brauchte den im Krieg
entstandenen Mut der Verzweiflung, um auch den modernen Menschen mit all seinen
Facetten zu erkennen, den hellen und den dunklen, den starken und den
schwachen, den vernünftigen und den verrückten. Die Kunst im allgemeinen und
die Stimmkunst im Besonderen waren für ihn die Wege, um diese Facetten zum
Vorschein zu bringen, ohne ihnen zu erlauben, auf die Welt mit aller Kraft
destruktiv zu wirken.
Von
den Rändern her das Zentrum neu figurieren. So könnte man die Grundbewegung des
Schaffens der beiden charakterisieren. Beide haben die Notwendigkeit gespürt,
aus der aktuellen Kultur einen Schritt rauszutreten, um aus einer gewissen
Distanz den Blick zu befreien, um andere, womöglich menschlichere Wege der
Entwicklung der Gesellschaft – mit und durch die Kunst – zu erkennen.
Beide
sind zeitlebens Außenseiter geblieben, doch beide haben es auf untergründige
Weise geschafft, bis heute präsent zu bleiben. Das Werk Hugo Balls wird in
einer beeindruckenden Ausgabe im Wallstein-Verlag neu verlegt. Ich lese am 6.
Nov. aus der Neuausgabe von „Die Flucht aus der Zeit“.
Wolfsohn
ist in seinen lehrenden Nachfolgerinnen und Nachfolgern noch immer lebendig, die meistens
den Namen seines Schülers Roy Hart verwenden. (www.roy-hart-theatre.com)
Es
gibt noch ein paar weitere Parallelen, die mir deren Werk und Leben so
interessant machen. Beiden war klar, dass das Denken alleine auch dann nicht
ausreicht, Veränderungen anzustoßen, wenn das Gedachte verschriftlicht in die
Welt gelangt. Es bedarf einer Praxis, um sich zu ändern. Bei Wolfsohn war das
der praktische Umgang mit seiner eigenen Stimme und damit in enger Verbindung
die Übung des Hörens – auf sich selbst wie auf andere. Nur wenn ich mit meiner
Stimme in Kontakt trete, sie in Verbindung bringe mit meinem Körper, meiner
inneren und der je äußeren Situation meines Lebens ergibt sich daraus eine
Änderung, die man als Öffnung, als Entwicklung oder als Wachstum bezeichnen
kann. Bei Hugo Ball ist der entsprechende Begriff die Askese. Askese heißt
ursprünglich Übung. Nach Ball gehört es zum Menschsein, zu bestimmten
Bedürfnissen nein sagen zu können, um die mit ihnen verbundene Energie in
andere Richtungen zu lenken. Diese oft religiös konnotierte Praxis ist
Übungssache.
Künstler*innen
erzähle ich hier nicht viel neues. Die künstlerische Praxis ist in den meisten
Fällen mit dem Aspekt des Übens und des Verzichts verbunden. Künstlerisch übe
ich eine Praxis ein, für die ich mich entschieden habe und bin bereit, dieser
Praxis andere Bedürfnisse zu opfern. Das hat noch nichts mit Religion zu tun.
Genau deshalb ist Hugo Ball heute so interessant zu lesen. Man muss nicht
seinem religiösen Weg folgen, aber man kann ihn als ein konsequentes Beispiel
dafür betrachten, seinen Weg zu gehen. Das gilt ebenfalls für Alfred Wolfsohn.
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