english below!!
Was ist ein Stimmproblem?
In einem Artikel des Guardian
https://www.theguardian.com/news/2017/aug/10/adele-vocal-cord-surgery-why-stars-keep-losing-their-voices?CMP=share_btn_fb
nimmt der Autor Bernard Warner eine
Konzertabsage von Adele aufgrund von neuerlichen Stimmproblemen zum Anlass,
ganz generell zu diskutieren, warum so viele Sänger und Sängerinnen in allen musikalischen
Sparten heutzutage so oft ernsthafte Stimmprobleme bekommen und was dagegen
gemacht werden kann.
Gute Frage! Die Antwort auf den
zweiten Teil der Frage, die Bernard Warner in seinem sehr lesenswerten Artikel
vorbringt, läuft auf die Alternative Operation oder bessere Stimmtechnik
hinaus. Viele Gesangslehrer raten aus guten Gründen von Operationen an den
Stimmlippen ab, andere glauben, dass darin zumindest eine gute zusätzliche
Maßnahme zu sehen ist. Im Fall von Adele, die sich 2012 nach einem Totalausfall
der Stimme hat operieren lassen, hat die Vorhersage der Stimmlehrerin Lisa
Paglin, dass die Problem wieder auftauchen werden, wohl gestimmt. Das Problem
liegt nach ihrer Meinung bei Adele und den tausenden Sänger*innen an einer
grundfalschen Methodik des Singens. So lange die nicht geändert würde, könnten
Operationen nur zeitweise ein Problem beheben.
Aus meiner Sicht als
Stimmlehrer und –künstler in der Tradition von Roy Hart und Alfred Wolfsohn
krankt die Diskussion daran, dass sie auf beiden Seiten ganz in der Metaphorik
des Instrumentes hängen bleibt. Die Stimme wird betrachtet als ein Instrument,
und die Frage der Heilung der Stimme wird reduziert auf das Problem, wie die
Reparatur vollzogen werden soll. Muss die Hardware
ausgebessert werden oder genügt es, das Werkzeug besser zu ölen und seine Handhabung
besser zu trainieren? Das sind Fragen, die zwar nicht ganz ohne Relevanz sind,
aber an dem eigentlichen Problem vorbei gehen. Die Stimme ist nämlich kein
Instrument – oder etwas vorsichtiger ausgedrückt: mit der Instrumentenmetapher
können bestimmte Aspekte des Verhältnisses eines Menschen zu seiner Stimme
nicht beschrieben werden, und gerade die Aspekte, die bei Stimmproblemen
wichtig werden, bleiben in der Vorstellung vom Instrument außen vor.
Bei einem Musikinstrument gibt
es keine Zwefel darüber, wer hier Akteur und wer bzw. was hier das Instrument
ist und gespielt wird (auch wenn große Virtuosen das Gefühl kennen, vom
Instrument gespielt zu werden). Bei der Stimme ist die Situation anders. Denn
manchmal macht die Stimme nicht das, was ich will, sondern das, was sie will.
Die Stimme hat eine eigene Entscheidungs- und Handlungskompetenz. Deshalb ist
es oft viel sinnvoller von der Stimme als einer Partnerin zu sprechen, mit der
ich auf einer Ebene kommuniziere – im Gegensatz zum Verhältnis zu einem
Instrument, das immer hierarchisch ist. So genannte Stimmprobleme zeigen sich
aus dieser Perspektive als Warn- und Weckrufe der Stimme, die mir signalisieren
will, dass in unserem Verhältnis etwas nicht „stimmt“. Je länger ich diese
Signale ignoriere, um so lauter werden sie und um so größer wird die Gefahr,
dass sie sich zu echten, also chronischen Stimmproblemen auf der funktionalen
oder organischen Ebene ausbilden.
Doch das, was in dem Verhältnis
zu meiner Stimme womöglich problematisch ist, spielt sich nicht in erster Linie
auf einer technischen Ebene ab, sondern ist ein Phänomen, das den Menschen als
ganzen betrifft. Um langfristig das Verhältnis für beide Seiten (Stimme und
Mensch) gesund und lebendig zu halten, ist es nötig, die geistigen, psychischen
und körperlichen Verbindungen in diesem Verhältnis zu erforschen und eventuell
neu zu justieren. Ich muss erkennen, mit welchem Selbst- und Stimmverständnis
ich lebe und erforschen, wo dieses Verständnis vielleicht nicht mehr meiner
Lebenssituation angemessen ist. Der Königsweg dieser Erforschung heißt: der
eigenen Stimme zuhören! Am besten mit der Hilfe eines Menschen, der Erfahrung
hat in dieser Art des Hörens.
In diesem Prozess spielt zwar
von Beginn an das Thema, wie ich mit meiner Stimme im Singen und Tönen umgehe,
eine große Rolle, aber entscheidend dabei ist es herauszufinden, warum ich
bislang auf eine Weise töne, die meiner Stimme nicht gut tut. Und da ist der
Hinweis auf eine erlernte Technik in der Regel nicht die entscheidende und
zufriedenstellende Antwort. Die Frage, wie ich singe, ist eingebettet in den
größeren Zusammenhang meiner Konzepte, die ich über meine Stimme mit mir trage,
anders gesagt, der Art und Weise, wie ich meine Stimme verstehe. Dieser
Zusammenhang besitzt nicht nur eine individuell-persönliche Dimension, sondern
auch soziale und kulturelle Implikationen. Nur so wird verständlich, warum es
Zeiten wie die unsere gibt, in denen so viele Sänger*innen so große Probleme
mit ihrer Stimme bekommen. Die Gründe können nicht nur auf der persönlichen
Ebene liegen.
Zu dem Thema gibt es viel zu
sagen. Für heute belasse ich es hierbei.
What is a voice problem?
In an article of the Guardian
https://www.theguardian.com/news/2017/aug/10/adele-vocal-cord-surgery-why-stars-keep-losing-their-voices?CMP=share_btn_fb
the author Bernard Warner uses the cancellation of two concerts in London by Adele who again suffers from serious voice problems to discuss on a general level the reason why so many singers in all musical disciplines nowadays often get serious problems with their voices and what can be done about it.
Good question! The answer to the second aspect, which Bernard Warner puts forward in his very recommandable article, is the alternative: surgery or better tuning. Many vocal teacher advise for good reasons against surgery on the vocal folds, others believe that this is at least a good additional measure. In the case of Adele, who has been operated in 2012 after a total failure of the voice, the prediction of the voice teacher Lisa Paglin that the problem will reappear again, was obvioulsy correct. According to her opinion, the problem with Adele and the thousands of singers with voice problems lies in the basic method of singing. As long as that would not be changed, operations could only temporarily fix a problem.
From my point of view as a voice teacher and artist in the tradition of Roy Hart and Alfred Wolfsohn, the discussion suffers from the fact that on both sides it remains entirely in the metaphor of the instrument. The voice is considered as an instrument, and the question of healing the voice is reduced to the problem of how the repair is to be performed. Does the hardware need to be improved, or is it better to lubricate the tool and train its handling better? These are questions that are not entirely without relevance, but which don´t hit the real problem. The voice is not an instrument, or more cautiously expressed: with the instrumental metaphor, certain aspects of the relationship of a person to his voice can not be described, and the aspects which are important in the case of voice problems remain unaffected in the concept of the instrument.
In a musical instrument, there is no doubt about who is the actor and who or what is the instrument and is played here (even if great virtuosos know how the feeling of being played by the instrument). The situation is different with the voice. Sometimes the voice does not what I want, but what it wants itsself. The voice has its own power of decision-making and acting. That is why it is often much more meaningful to speak of the voice as a partner with whom I communicate on the same level - as opposed to the relationship to an instrument that is always hierarchical. So-called voice problems appear from this perspective as warning and wake-ups calls from the voice, that wants to signal to me that in our relationship something is not "right". The longer I ignore these signals, the louder they become and the greater becomes the risk that they will develop into real, ie, chronic, voice problems on a functional or organic level.
However, what may be problematic in relation to my voice is not primarily concerned with a technical level, but is a phenomenon that affects human beings as a whole. In order to keep the relationship healthy and alive for both sides (voice and human being), it is necessary to investigate the mental, psychological and physical connections in this relationship and possibly to re-adjust them. I need to recognize with what self- and vocal understanding I live and explore, where this understanding is perhaps no longer appropriate to my life situation. The royal road of this exploration is to listen to one's own voice! Best with the help of a person who has experience in this type of hearing.
In this process, the theme of how I deal with my voice in singing and sounding plays a big role from the beginning, but it is crucial to find out why I am acting in a way that is not good for my voice. And, usually, the reference to a learned singing technique is not the decisive and satisfactory answer. The question of how I sing is embedded in the wider context of my concepts that I carry with me about my voice, in other words, the way I understand my voice. This context has not only an individual-personal dimension but also social and cultural implications. This is the only way to understand why there are times like ours, where so many singers get so great problems with their voice. The reasons can not only lie on the personal level.
There is much more to say about these issues but I stop for now….
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