Wednesday 15 April 2020

kein Manifest/ no manifesto


english below

 
Ralf Peters -
ein im stimmfeld gelandeter Künstler und Philosoph

Wenn ich versuchen wollte, meine verschiedenen Aktivitäten als Künstler, Denker, Autor, Lehrer etc. in einer einheitlichen Idee zu sammeln, dann käme am Ende warscheinlich eine Frage heraus. 


Die Geschichte, die ich hier von mir erzählen möchte, kann ich mit dem Diskos von Festos beginnen lassen, der schon seit Jahrzehnten eine Art geheimes Logo meiner Arbeit darstellt. Die ungefähr handtellergroße Tonscheibe, die in einem minoischen Palast auf Kreta im Jahr 1908 gefunden wurde, ist das älteste Druckerzeugnis der Menschheitsgeschichte, das mit beweglichen Lettern hergestellt wurde. Seine Bedeutung und seine Funktion liegen bis heute weitgehend im Dunkeln.

Die Theorien über die ursprüngliche Funktion des Diskos reichen von einem kultischen Gegenstand bis zu einer Bestandsliste für gelagerte Lebensmittel und Werkzeuge. Die auf der einen Seite der Scheibe verwendete Schrift namens Linear A ist bis heute nicht entziffert. 

Von all dem abgesehen ist der Diskos ein atemberaubend schönes Objekt. Kunst, die Rätsel aufgibt, deren Lösung nicht zwingend einen Gewinn darstellen würde. Die offenen Fragen treiben weiter als es die Antworten könnten.
Was hat das mit meiner Art des Kunstschaffens zu tun? Ich verstehe Kunst als die edelste Form der Forschung, die Bewegung des Suchens, die von offenen Fragen angetrieben wird und nicht bezweckt, diesen Motor durch letzte Antworten zum Stillstand zu bringen.

Der Diskos von Festos ist ein Symbol für das formgebende Suchen, das man Kunst nennt, obwohl die Scheibe erst im Laufe der Zeit selbst zu einem Kunstwerk geworden ist. Im Moment seiner Herstellung war mit ihr wahrscheinlich gar keine offene Frage verbunden. Das weist auf zwei weitere Elemente hin, die für meine Arbeit wichtig sind. Der Faktor der Zeit, mit dem ich in verschiedenen Hinsichten agiere und die Frage nach Erinnern und Vergessen. Beides hat offenkundig miteinander zu tun.

Die handtellergroße Scheibe ist auch ein Zeugnis der Entwickung der Schrift. Niemand weiß, ob mit den Zeichen, die darauf zu sehen sind, Sprachlaute verbunden waren. Ob es sich um Worte handelt, um Silben, oder einfach um Bilder. Diese Grenze zwischen dem Sprachlichen und Vorsprachlichen interessiert mich als Stimmkünstler ganz besonders. Wo fängt Sinn im Feld der stimmlichen Äußerungen an und welche Konsequenz hätte die Erkenntnis/Vermutung, dass nicht aller Sinn sprachlich kodierbar ist? Die Arbeit mit der Extended Voice ist mein Format, diese offenen Fragen mit künstlerischen Mitteln zu untersuchen, meist im Rahmen von Performance Art.

Die Größe der Scheibe verweist noch auf einen anderen Aspekt meiner Arbeit. Der Diskos kommt bescheiden daher, er ist keine überwältigende antike Skulptur, kein ehrfurchtsgebietender Tempel; er ist aus Ton, nicht aus Gold oder Jade. 

Obwohl ich mich als Extended Voice und Performance Künstler oft ziemlich weit außerhalb konventioneller Parameter bewege, frage ich mich, ob die Kunst heute nicht die schwere Aufgabe vor sich hat, auf die überwältigende Geste zu verzichten, vielleicht nicht bescheiden zu bleiben, aber zumindest nicht zu versuchen, dem Mainstream des zu Lauten und zu Grellen noch die Krone aufzusetzen.

Spenden? https://fr.tipeee.com/stimmfeld

 (Der Text ist auch auf meinen Websites stimmfeld.de und hoerfeld.de zu finden.)




english: 
Ralf Peters -
Artist and Philosopher - landed in stimmfeld

If I try to bring together my various activities as an artist, thinker, author, teacher, etc. in an unified idea, I would probably end up with a question. 

The story I want to tell about myself  begins with the Diskos of Festos, which has been a kind of secret logo of my work for decades. The approximately palm-sized clay disc, which was found in a Minoan palace on Crete in 1908, is the oldest printed product in the history of mankind that was made with movable letters. Its significance and function remain largely obscure to this day.

The theories about the original function of the disc range from a ritual object to an inventory of stored food and tools. The script used on one side of the disc, called Linear A, has not been deciphered until today.
Apart from this the Discos is a breathtakingly beautiful object. Art that poses puzzles, the solution of which would not necessarily be a gain. The open questions help to get further than the answers could.

What does that have to do with my way of creating art? I understand art as the noblest form of research, the movement of searching, which is driven by open questions and does not aim to bring this motor to a standstill by giving final answers.

The discos of Festos is a symbol for the form-giving searching that is called art, although the disc itself has only become a work of art over time. At the moment of its creation, there was probably no open question associated with it. This points to two further elements that are important for my work. The factor of time, with which I act in different ways, and the question of remembering and forgetting. The two are obviously related.

The palm-sized disc is also a testimony to the development of script and writing. No one knows whether the signs on it were associated with vocal sounds. Whether they are words, syllables, or simply pictures. This line between the linguistic and the pre-linguistic interests me especially as a voice artist. Where does meaning begin in the field of vocal utterances and what would be the consequence of the realization/assumption that not all meaning is linguistically encodable? Working with the Extended Voice is my format for investigating these open questions with artistic means, usually in the context of Performance Art.

The size of the disc also refers to another aspect of my work. The disc is modest, it is not a stunning ancient sculpture, not an awe-inspiring temple; it is made of clay, not gold or jade.
Although as an Extended Voice and Performance artist I often move quite far outside conventional parameters, I wonder if art today has the difficult task not to use the overwhelming gesture, perhaps not to remain modest, but at least not to try to top the mainstream of the too loud and too garish.


(This text is also available on stimmfeld.de - english section!)

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